Einmarsch ins Rathaus im vorigen Jahr Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sie trainieren online weiter, aber vor Publikum werden die Gardemädchen so schnell nicht mehr tanzen. Das macht es für die Vereine nicht leichter, Nachwuchs zu finden.

Stuttgart - Keine Prunksitzung, keine Karnevalsshow, kein Faschingsumzug: Wie soll man junge Mädchen motivieren, wenn sie das, was sie einstudiert haben, niemandem vorführen können? Die Gardetanzgruppen der Stuttgarter Karnevalsvereine trainieren zwar regelmäßig über Dienste wie Skype oder Zoom. Aber Video könne den gemeinsamen Unterricht nicht ersetzen, heißt es unisono. Erschwerend kommt hinzu, dass die Saison 2020/2021 zu Ende ist, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat und es im Frühjahr wegen des Coronavirus auch keine Meisterschaften geben wird.

„Das Ganze ist ermüdend“, sagt Thomas Klingenberg, der Präsident der Gesellschaft Möbelwagen. Die „Möbler“ haben mit der Blauen Tanzgarde Deutschlands erste und älteste weibliche Tanzgarde – sie war über lange Zeit eine größere Gruppe, als das heute der Fall ist. Grundsätzlich sei es nicht einfach, Nachwuchs zu finden, meint Klingenberg, umso schwerer sei dies unter Coronabedingungen. Viele Jugendliche könnten mit Fasching nicht mehr viel anfangen, von den Kostümen nicht zu reden. „Man muss die Kinder frühzeitig einfangen“, sagt Klingenberg. Dann gelte es, die Jugendlichen bei der Stange zu halten. Dass sein Verein in den letzten Monaten keine Abgänge zu verzeichnen hatte, macht er am Gemeinschaftserlebnis fest: „Wir als Möbler sind eine große Familie.“

Einkleidung kostet 2000 Euro

Die Gesellschaft Zigeunerinsel musste einige Tänzerinnen ziehen lassen, etwa weil sie vor dem Abitur stehen. Besonders schwierig ist offenbar, die 15- bis 17-Jährigen zu halten – gerade wenn alle Aufritte ausfallen. Immerhin hat die Zigeunerinsel noch vier Gardegruppen, nach Alter gestaffelt, mit insgesamt rund 40 Mitgliedern – eine kostspielige Abteilung. Jedes Mädchen braucht zwei Tanzkostüme sowie eine Marschieruniform samt Hut und Perücke. Da kommen rund 2000 Euro für die Einkleidung zusammen; das können oder wollen sich nicht alle Stuttgarter Karnevalsvereine leisten.

„Wenn man die Videos vom vorigen Jahr anschaut und sieht, mit welcher Begeisterung die Mädchen und jungen Frauen auf der Bühne tanzen, dann ahnt man, wie sehr sie gerade leiden“, sagt der Präsident der Zigeunerinsel, Thomas Haas. Er bewundert die Tänzerinnen für ihren Durchhaltewillen, auch wenn das virtuelle Training „null Ersatz“ für professionellen Unterricht in der Halle sei. Seine Hoffnung ist, dass nach Corona der Kontakt von Mensch zu Mensch wieder mehr geschätzt werde, „das wirkliche Miteinander statt Instagram“.

2020 umsonst trainiert

Auch Udo Glaubig, Präsident der Karnevalsgesellschaft Blau-Weiß Stuttgart hat die Erfahrung gemacht, dass es „unwahrscheinlich schwierig“ ist, von außen Tänzerinnen zu rekrutieren. Sein Verein setzt auf den eigenen Nachwuchs. Er bindet etwa frühere Gardemädchen als junge Frauen ins Präsidium ein, um sie und ihre Familien im Verein zu behalten. Die ersten Dreijährigen, Kinder früherer Tänzerinnen, hüpfen bereits als Fünkchen „ein bisschen rum“, sagt Glaubig. Das hält er auch für bitter nötig: Die klassische Tanzgarde, die Blau-Weiß immer hatte, sei „komplett ausgeblutet“.

Lesen Sie hier: „Karnevalsclub Stuttgarter Rössle: Zwei Regenten in der Warteschleife“

Beim Cannstatter Quellen-Club setzt man auf den karnevalistischen Leistungssport. Noch schlimmer als der Wegfall der Auftritte ist in den Augen des Vereinsvorsitzenden Miltiadis Katsaoras der Ausfall der Wettkämpfe. „Unsere Mädels trainieren zu 80 Prozent für die Turniere, davon gibt es normalerweise rund 35 im Jahr in Deutschland.“ Auftritte seien da eine gute Übung, denn ein, zwei Wochen nach Fasching stünden die ersten Wettbewerbe an; es gelte sich erst für die Süddeutschen und dann für die Deutschen Meisterschaften zu qualifizieren. Voriges Jahr fielen die Turniere fast komplett aus: „Wir haben 2020 umsonst trainiert“, bilanziert Katsaoras. Obwohl der Fasching ins Wasser fällt, hatte er einige Anfragen, ob seine Garde nicht wenigstens im Freien auftreten könnte. Er hat abgelehnt: „Ich schick meine Mädels nicht raus.“