Nach dem Sport war er immer sehr geschäftstüchtig: Willi Holdorf Foto: Pressefoto Baumann/Hansjürgen Britsch

Der Zehnkämpfer hat das deutsche Publikum 1964 mit seinem Olympiasieg in Verzückung versetzt und auch danach viel für den Sport im Land getan. Nun ist der vielseitig begabte Norddeutsche im Alter von 80 Jahren gestorben.

Stuttgart - Es war der 20. Oktober 1964, als Willi Holdorf im Olympiastadion von Tokio an seine Grenzen gelangte wie noch nie in seinem Leben. Im abschließenden 1500-Meter-Lauf des Zehnkampfes durfte das norddeutsche Kraftpaket maximal 18 Sekunden hinter dem Rivalen Rein Aun aus der Sowjetunion bleiben. Holdorf taumelte die letzten 50 Meter dem Ziel entgegen: erschöpft, völlig am Ende, am liebsten hätte er sich auf den Boden geworfen, aber er konnte nicht. So schleppte er seinen Körper wie in Trance über den Zielstrich – und brach zusammen.

„Mir wurde schwarz vor Augen“, sagte Holdorf damals, ein ganz berühmter Satz ist das von ihm. Genauso berühmt und unvergessen wie die Goldmedaille, die er nach dem Kraftakt gewann, weil er am Ende dann doch nur elf Sekunden hinter Aun blieb. Erstmals siegte ein Deutscher bei Olympia in der Königsdisziplin. Nach ihm schaffte das nur noch der für die DDR startende Zehnkämpfer Christian Schenk 1988 in Seoul.

Ein echtes Idol

Willi Holdorf ist am Sonntag im Alter von 80 Jahren zu Hause in Achterwehr, einer 1000-Seelengemeinde in Schleswig-Holstein, gestorben. Die Nachricht von seinem Tod nach schwerer Krankheit erschüttert den deutschen Sport. „Wenn man mit dem Zehnkampf anfängt, dann gibt es ein paar große Namen – Willi Holdorf stand da ganz, ganz oben“, sagt der Mainzer Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul. „Wir haben uns ab und zu gesehen und dann immer mit ,Hallo, Herr Olympiasieger‘ gegrüßt“, erzählt indes Christian Schenk. Und: „Er war mein Idol.“

Wenn Franz Beckenbauer die Lichtgestalt des deutschen Fußballs ist, so ist Holdorf durchaus als Lichtgestalt der deutschen Leichtathletik zu bezeichnen. Er war ein aufrechter Zeitgenosse, allseits beliebt, auch wegen seines trockenen norddeutschen Humors. Aber vor allem zeichnete ihn seine Vielseitigkeit aus – im Sport wie im Leben danach. Als Jugendlicher spielte er Fußball und Handball, in Richtung Leichtathletik tendierte er erst im Alter von 17 Jahren, als er bei Landesmeisterschaften den Sprint gewann. Dann spürte er, dass mehr möglich ist, auch im Werfen. Er wurde deutscher Meister, verpasste 1960 die Olympiateilnahme unfassbar knapp, doch vier Jahre später machte er in Tokio sein Meisterstück – und verzückte das deutsche Publikum wie seinerzeit Max Schmeling im Boxen.

Nach Tokio war Schluss

Der Zehnkampf von Tokio war Holdorfs letzter Wettbewerb. Mit einer Körpergröße von 1,81 Meter und einem Gewicht von 90 Kilogramm war er keiner dieser hochgewachsenen Allrounder, die über lange Beine für die Laufdisziplinen und lange Arme für den Speer verfügten. Holdorfs Erfolge waren verbunden mit harter, den Körper verschleißender Arbeit. Doch nach dem Sport wurde dem umtriebigen Mann niemals langweilig.

Als Trainer führte er Leichtathleten in die Weltspitze. Als Coach des Fußball-Bundesligisten Fortuna Köln konnte er den Abstieg 1975 jedoch nicht verhindern. Dafür aber war er im Bobsport erfolgreich und als Geschäftsmann (bis 2016 als Adidas-Vertreter) und Funktionär. So war er Mitgesellschafter der erfolgreichen Handball-Abteilung des THW Kiel. Der ehemalige DLV-Präsident Clemens Prokop sagt über Willi Holdorf: „Freundschaft war für ihn stets mehr als ein Wort.“ Der deutsche Sport habe eine große Persönlichkeit verloren – und sei jetzt ärmer.