Die Landwirtschaft soll neu ausgerichtet werden, das ist das Ergebnis eines monatelangen Dialogs zwischen Fachleuten. Was von den Vorschlägen umgesetzt wird, ist fraglich.
Niedrige Steuern auf gesunde Lebensmittel, eine gezieltere Unterstützung für Landwirte und die weitere Stärkung des Umweltschutzes. Das sind einige der Empfehlungen aus einem nun in Brüssel vorgestellten Expertenbericht zur Zukunft der EU-Agrarpolitik.
„Die Kommission wird nun die vorgelegten Ideen sorgfältig prüfen, wenn wir eine neue Vision für Ernährung und Landwirtschaft in Europa erarbeiten“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei der Präsentation. Dabei betonte sie, dass die Landwirtschaft für Europa einer der wichtigsten Bereiche sei, da sie nicht nur die Sicherheit und die Wirtschaft, sondern auch den Umwelt- und Klimaschutz in sich vereine.
Sehr großer Posten im EU-Haushalt
„Aber wir wissen auch, dass unsere Landwirte mit vielen Herausforderungen konfrontiert sind. Sei es durch den sehr harten globalen Wettbewerb oder auch durch die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels“, sagte die Kommissionschefin. Mit Hunderten Milliarden Euro ist die EU-Agrarpolitik einer der größten Posten im EU-Etat.
Der vorgestellte Bericht fasst die Ergebnisse eines Runden Tisches zusammen, den Ursula von der Leyen im Januar nach Bauernprotesten in mehreren EU-Ländern ins Leben gerufen hatte. An den Diskussionen beteiligten sich Bauern- und Umweltverbände sowie die Lebensmittelindustrie.
Verantwortet wird der Bericht von Peter Strohschneider, dem früheren Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er betonte die offensichtlich gute Zusammenarbeit der verschiedenen Interessengruppen, die sich in der Vergangenheit eher in herzlicher Abneigung zugetan waren. Die Mitglieder des Strategischen Dialogs hätten „eine neue Kultur des gegenseitigen Verständnisses und der Kommunikation entwickelt“, sagte der Wissenschaftler in Brüssel. Die Empfehlungen des Gremiums sind rechtlich nicht verbindlich.
Als Fazit schicken die Autoren des rund 100 Seiten starken Berichts eine deutliche Mahnung an die Politik, nicht länger Zeit zu verlieren, da „der Handlungsdruck und die Gesamtkosten des Nichtstuns zunehmend steigen“, heißt es in dem Papier. Nötig seien „mutige und rasche Entscheidungen“.
Grünen-Vertreter reagieren positiv
Zur großen Erleichterung von Natur- und Umweltschützern betonen die Verfasser die Wichtigkeit einer nachhaltigen Landwirtschaft. Ziel müsse es sein, „innerhalb der planetaren Belastbarkeitsgrenzen“ zu wirtschaften. Besonderes Augenmerk gelte dem Schutz des Klimas, den Ökosystemen und natürlichen Ressourcen.
Selbst der in der Regel eher kritisch eingestellte Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling erklärte: „Positiv am Ergebnis des Dialogs ist zu bemerken, dass der Ökolandbau in seiner Bedeutung gewürdigt wird und Anreize für Umwelt und Klimaleistungen finanziell so angelegt werden sollen, dass sie wirklichen finanziellen Mehrwert bieten und nicht nur den Verlust für Einkommen ausgleichen.“ Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir begrüßte die Vorschläge. „Die Landwirtinnen und Landwirte erwarten zu Recht ansprechende Förderungen, damit sich ihr Einsatz für Umwelt, Artenschutz, Klima und Tierwohl auch finanziell auszahlt“, teilte der Grünen-Politiker mit.
Norbert Lins (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament, hob die vorgeschlagene finanzielle Unterstützung der Bauern hervor. „Gesonderte Gelder für die Landwirtschaft für die Herausforderungen der Zukunft und die Anpassung an eine sich verändernde Umwelt sind ein erster Schritt in die richtige Richtung, an welchem weitergearbeitet werden muss“, erklärte Lins.
So empfehlen die Experten in dem Bericht etwa, einen „befristeten Agrarfonds für die faire Weiterentwicklung des Agrar- und Ernährungssystems“ einzurichten, um den Umbau des Sektors in Richtung Nachhaltigkeit zusätzlich zu unterstützen. Sie zählen allerdings nicht nur auf mehr staatliche Fördergelder, sondern fordern auch bessere Rahmenbedingungen für die private Kreditvergabe durch Banken. Ebenso richten die Autoren einen Appell an die Europäische Investitionsbank, die für die Landwirte ein „sektorspezifisches Sonderkreditprogramm“ auf den Weg bringen solle.
Von der Leyen hat die Vorstellung einer Vision versprochen
Der Strategiedialog wurde von Ursula von der Leyen nicht ganz freiwillig ins Leben gerufen. Im vergangenen Winter wurden einige Regionen der EU durch zum Teil gewalttätige Bauernproteste erschüttert. Die Landwirte blockierten mit ihren Traktoren Straßen, Grenzübergänge und auch das Brüsseler Regierungsviertel. Die Teilnehmer demonstrierten unter anderem gegen die in ihren Augen zu strengen Umweltauflagen der EU und eine überbordende Bürokratie.
Als erste Reaktion lockerte Ursula von der Leyen dann die einige Vorgaben des Green Deals, dem Projekt zum Umbau Europas zu einem klimaneutralen Kontinent. Zudem hatte sie versprochen, in den ersten 100 Tagen ihrer neuen Amtszeit als EU-Kommissionschefin eine Vision für Landwirtschaft und Ernährung vorzustellen. Der nun in Brüssel vorgelegte Bericht ist also nur der erste Schritt auf einem langen Weg des Umbaus des gesamten Agrarsektors.
Der Agrar-Etat macht 40 Prozent des EU-Haushalts aus
Etat
Der Agrar-Etat der EU beläuft sich auf 58,9 Milliarden Euro. Er macht damit 40 Prozent des EU-Haushalts aus. Das ist mehr als für die Bereiche Sicherheit, Außenpolitik und Wirtschaftsförderung zusammen.
Subventionen
In der aktuellen Förderperiode 2023 bis 2027 werden sechs Milliarden Euro Agrarsubventionen jährlich an landwirtschaftliche Betriebe sowie an Verbände, Behörden und Unternehmen im Agrarbereich in Deutschland gezahlt. Nach Frankreich und Spanien erhält Deutschland die drittmeisten Mittel aus dem EU-Agrarhaushalt.
Prämien
Etwa 70 Prozent der Fördermittel in Deutschland sind Flächenprämien. Diese Subventionen sind an die Erfüllung einiger Mindestvorgaben geknüpft. So müssen etwa Monokulturen vermieden und die angebauten Pflanzen auf einer Fläche häufiger gewechselt werden.
Einkommen
Die Fördergelder machen je nach Struktur eines Haupterwerbsbetriebs zwischen 41 und 62 Prozent des Einkommens aus. Bei sogenannten Nebenerwerbsbetrieben, die eine zweite Einkommensquelle außerhalb der Landwirtschaft haben, liegt der Anteil der Fördermittel am Einkommen noch deutlich höher.