Ich würde jetzt mal raten, dass man etwas von den Bäumen runterkommt und etwas abrüstet“, sagte Winfried Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Foto: 7aktuell.de/Marc Gruber

Die baden-württembergische Grünen-Spitze hat den intern umstrittenen Tübinger OB Palmer aufgefordert, die Partei zu verlassen. Einige Grüne halten das für überzogen.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat im internen Streit der Grünen um den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zur Mäßigung aufgerufen. „Ich würde jetzt mal raten, dass man etwas von den Bäumen runterkommt und etwas abrüstet“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. Der Vorstand der Südwest-Grünen hatte Palmer am Freitag nach einer Äußerung zur Corona-Pandemie aufgefordert, die Partei zu verlassen. Zudem hatten die Grünen-Spitzen im Bund, im Land und im Kreisverband Tübingen erklärt, ihn nicht mehr politisch unterstützen zu wollen.

Prominente Grünen-Mitglieder sprachen sich nun aber gegen eine Maßregelung Palmers aus. Man solle den Dialog mit ihm suchen, heißt es in einem Schreiben, das etwa die frühere Vizepräsidentin des Bundestags, Antje Vollmer, der Landtagsabgeordnete Martin Hahn und der Bürgermeister von Maselheim, Elmar Braun, unterzeichneten. Braun war 1991 der erste grüne Rathauschef Deutschlands.

Palmer sei nicht unbelehrbar

In dem Appell heißt es: „Seit ihrer Gründung war unsere Partei ein Ort leidenschaftlicher Debatten, offener Auseinandersetzungen in der Sache, freier Rede und des Respekts vor Minderheitsmeinungen.“ Das entspreche den grünen Prinzipien von Gewaltfreiheit und Basisdemokratie. „Boris Palmer gehört zum Urgestein der baden-württembergischen Grünen, er ist ein überzeugter Ökologe und ein manchmal rebellischer Freigeist.“ Palmer sei nicht unbelehrbar, habe aber ernsthafte Gründe für seine Position genannt.

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Palmer hatte Ende April in einem Interview gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Er erklärte seine Aussage mit der Sorge um armutsbedrohte Kinder vor allem in Entwicklungsländern, deren Leben durch die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns bedroht sei. Palmer räumte aber nach heftiger Kritik ein, dass sein Satz Anlass zum Missverständnis gegeben habe. Das bedauere er. „Ich erwarte selbstverständlich, dass jeder Mensch die bestmögliche medizinische Versorgung erhält.“

Tübinger Gemeinderat will sich von Palmer distanzieren

Der Tübinger Gemeinderat will sich in einem Antrag mehrerer Fraktionen von OB Palmer distanzieren. Palmers Aussage lege nahe, das Leben älterer oder kränkerer Menschen sei weniger wert und weniger schützenswert als das junger Menschen, heißt es in der Erklärung, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Sie lasse jegliche Empathie und den allen Menschen gegenüber notwendigen Respekt vermissen. Seine Aussage sei falsch und politisch verantwortungslos. Wie Martin Sökler, Fraktionsvorsitzender der SPD, mitteilte, soll in der Sitzung an diesem Donnerstag über den Antrag diskutiert und abgestimmt werden. Bis auf die Grünen hätten alle Fraktionen unterzeichnet.

Unmittelbare politische Konsequenzen hätte der Beschluss der Resolution für Palmer nicht. Bereits 2018 hatte eine Mehrheit des Gemeinderats eine solche gegen Palmer beschlossen. Damals hatte sich der OB über einen wohl rüpelhaften Radfahrer geärgert und wegen dessen dunkler Hautfarbe auf einen Asylbewerber geschlossen.