Die Altlast der Dieselklagen verdüstert die Aussichten von Mercedes-Benz. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Verbraucherschützer scheitern zum Auftakt des Musterverfahrens gegen Mercedes-Benz mit einem Vorstoß, ihre juristische Position erst nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs festzulegen.

Eine im Juni verkündete sehr verbraucherfreundliche juristische Einschätzung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs hat gleich zum Auftakt des Musterprozesses gegen Mercedes-Benz vor dem Oberlandesgericht Stuttgart einigen Wirbel verursacht. Generalanwalt Athanasios Rantos war in seinen Schlussanträgen in einem Verfahren gegen Mercedes-Benz vor dem Europäischen Gerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass Mercedes-Fahrer Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn in ihrem Auto eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut ist und die Abgasreinigung damit nur in einem begrenzten Temperaturbereich richtig funktioniert.

Dies gelte auch, so Rantos, wenn diese Abschalteinrichtung nicht vorsätzlich, sondern aus Fahrlässigkeit eingebaut worden sei.

Der Europäische Gerichtshof könnte ein Wende einleiten

Seither warten die Dieselkläger und deren Anwälte zwischen Flensburg und Friedrichshafen mit Spannung darauf, ob sich die Richter des Europäischen Gerichtshofs in ihrem zu erwartenden Urteil dieser juristischen Einschätzung des Generalanwalts anschließen werden.

Dies wäre eine spektakuläre Wende, die sich wohl auch auf die vielen laufenden Klagen in Deutschland auswirken würde. Denn in den zahllosen Prozessen von Dieselklägern in verschiedenen Instanzen hat bisher überwiegend Mercedes-Benz gewonnen. Der Autobauer weist alle Vorwürfe zurück.

Dies unterscheidet die Stuttgarter von Volkswagen. VW hat zugegeben, betrogen zu haben. Die Software sorgte bei VW dafür, dass die Autos die Grenzwerte für Stickoxid zwar auf dem Prüfstand einhielten, auf der Straße jedoch nicht. Mercedes wehrt sich massiv gegen den Vorwurf des Betrugs.

Der Bundesgerichtshof will im November Stellung nehmen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat als höchste zivilrechtliche Instanz entschieden, dass der Einbau einer solchen Abschalteinrichtung nicht ausreicht, um Schadenersatz zu erhalten. Vielmehr müsse diese Manipulation vorsätzlich vorgenommen worden sein. Sollte nun Fahrlässigkeit genügen, um Schadenersatz zu erlangen, hätten die Dieselkläger Oberwasser. Der Bundesgerichtshof hat bereits angekündigt, dass er in einer Verhandlung im November dazu Stellung nehmen wird, welche Auswirkungen ein verbraucherfreundliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs auf die deutschen Verhandlungen hat.

Thilo Rebmann, der Vorsitzende Richter des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart, stellte gleich zum Auftakt des Musterverfahrens gegen Mercedes-Benz klar, dass es vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und vor der Positionierung des Bundesgerichtshofs keine Entscheidung des Oberlandesgerichts im Musterverfahren gegen den Autobauer geben werde.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hatte die Klage im vergangenen Jahr eingereicht. In der Musterklage fokussiert sich der Verband auf einen Motor, der in Geländewagen des Modells GLK und GLC eingebaut worden ist.

Rund 2800 Dieselfahrer haben sich der Klage angeschlossen

Mit solch einer Musterklage können die Forderungen zahlreicher Verbraucher gebündelt werden. Dies soll die Gerichte entlasten. Bis Ende Juni hatten sich rund 2800 Mercedes-Fahrer der Klage der Verbraucherschützer angeschlossen. Dies deutet auf ein schwaches Interesse hin. Wenn alle betroffenen Kunden mitgemacht hätten, hätten sich bis zu 50 000 Dieselfahr er der Klage anschließen können.

Eine ähnliche Musterklage hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen 2018 gegen Volkswagen eingereicht. Anfang 2020 einigten sich Verbraucherschützer mit VW auf einen Vergleich, den 245 000 Kunden akzeptierten. VW zahlte je nach Alter und Typ des Fahrzeugs zwischen 1350 und 6250 Euro.

Die Anwälte von Mercedes-Benz stellen sich quer

Zum Auftakt des Verfahrens gegen Mercedes verlangten die Verbraucherschützer, dass sie ihre endgültigen juristischen Anträge zur Untermauerung der Schadenersatzforderungen erst dann formulieren müssen, wenn die Entscheidungen des EuGH und des BGH vorliegen. Sie versprachen sich offenbar bessere Chancen nach einem verbraucherfreundlichen Urteil auf europäischer Ebene. Die Richter des Oberlandesgerichts nahmen diesen Vorschlag aber skeptisch auf; die Anwälte des Autobauers zeigten sich irritiert.

Nach der Mittagspause kam es am Dienstag zum Showdown. Wenn die Anwälte beider Seiten sich darauf geeinigt hätten, dass die konkrete Formulierung der Anträge erst nach den heiß erwarteten beiden Gerichtsentscheidungen erfolgt, hätte die Musterklage zunächst einmal geruht, wie der Vorsitzende Richter erläuterte. Die Anwälte von Mercedes stellten sich jedoch quer.

Die Anwälte der Verbraucherschützer hätten durch diesen Dissens ein sogenanntes Versäumnisurteil riskiert. Damit hätten sie den Prozess zunächst einmal verloren und einen neuen Anlauf nehmen müssen. Daraufhin willigten die Verbraucheranwälte widerwillig ein, auf Basis der bisherigen Rechtslage ihre Anträge zu fixieren. Die Verhandlung wird am 24. Januar fortgesetzt.