Werkleiter Frank Deiß Foto: Daimler (z)

Im Daimler-Motorenwerk Untertürkheim ist die Produktion langsam angelaufen. Werkleiter Frank Deiß und Betriebsratsvorsitzender Michael Häberle berichten von den Herausforderungen.

Untertürkheim - Nach rund einem Monat Notbetrieb fährt das Daimler-Werk Untertürkheim seit zwei Wochen die Produktion wieder langsam hoch. In den Werkteilen gelten strenge Gesundheitsschutzregeln. Das Wohlbefinden der Beschäftigten hat Vorrang, betonen Werkleiter Frank Deiß und Betriebsratsvorsitzender Michael Häberle. Doch der Blick der Beiden richtet sich auch in die Zukunft, den Ausbau der E-Mobilität am Traditionsstandort Untertürkheim.

Die Produktion wird langsam hochgefahren. In welchen Schritten soll der Re-Start erfolgen?

Deiß: Zunächst fahren wir die Bereiche hoch, deren Produkte wir für unsere Fahrzeugwerke benötigen. So beispielsweise für unsere Produktion in China, die bereits vor einiger Zeit wieder angelaufen ist.

Es gibt also verschiedene Anlaufgeschwindigkeiten innerhalb der Werkteile?

Deiß: Ja. Die Herstellung im Stammwerk wird entsprechend den Bedarfen vorsichtig ausgebaut. In Bad Cannstatt läuft die Motorenproduktion beispielsweise im Zwei-Schicht-Betrieb. Es gibt aber auch Linien mit Ein-Schicht-Betrieb. Die Produktion fährt langsam aber sicher nach oben.

Gleichzeitig müssen Sie auf die Hygiene- und Abstandsvorschriften achten. Ein schwieriger Spagat. Wie können Sie dies gewährleisten?

Häberle: Die Gesundheit unserer Beschäftigten hat oberste Priorität. Im Krisenstab haben wir gemeinsam mit der Unternehmensleitung zahlreiche Schutzmaßnahmen definiert. Im Rahmen von Bereichsbegehungen haben wir geprüft, wo wir die 1,50 Meter Mindestabstand einhalten können und wo wir andere oder zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen. Der richtige Schutz beginnt bereits auf dem Weg zur Arbeit und die Sicherheitskonzepte gelten in der Produktion genauso wie in den Büros oder während der Pausen. Um unsere Kolleginnen und Kollegen zu sensibilisieren, haben wir vielseitiges Infomaterial erstellt. Videoclips, Hinweisschilder und Plakate sollen die Beschäftigten bei der Umsetzung und Einhaltung der Maßnahmen unterstützen.

Wie wollen Sie Kontakte verhindern?

Häberle: Wir entkoppeln die Schichten, damit sich die einzelnen Schichtgruppen nicht mehr begegnen. Die Frühschicht verlässt direkt nach Schichtende das Gelände, die Spätschicht kommt erst danach ins Werk. Auch die Pausen haben wir versetzt und feste Pausenzeiten vereinbart, damit die Beschäftigten nicht zusammen in den Gruppenräumen sitzen. Auch in unseren Shops und Betriebsrestaurant darf sich immer nur eine begrenzte Anzahl an Kolleginnen und Kollegen aufhalten und verpflegen. Mit diesen Maßnahmen soll das Infektionsrisiko in unserem Betrieb auf ein Minimum reduziert und maximale Sicherheit gewährleistet werden.

Nehmen Sie auf Risikogruppen Rücksicht?

Häberle: Wir halten uns an die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Die Experten haben kein bestimmtes Geburtsjahr als Risikogruppe definiert. Wir sagen also auf keinen Fall, dass jemand ab einem bestimmten Alter zur Risikogruppe gehört und nicht arbeiten darf. Das wäre diskriminierend. Nichtsdestotrotz nehmen wir aber natürlich Rücksicht. Wer eine Vorerkrankung hat oder einen Partner daheim, der zur Risikogruppe gehört, kann sich melden. Gemeinsam suchen Betriebsrat, Abteilung und Werksarzt dann nach einer Lösung und prüfen, welche Voraussetzungen über die bereits definierten Maßnahmen hinaus erfüllt werden können. Einen werksärztlichen Dienst am Standort zu haben ist immer, aber in der aktuellen Situation besonders, ein großes Privileg. Unsere Werksärzte stehen uns mit ihrem Fachwissen zur Seite und können helfen, angemessene Lösungen für die Beschäftigten und das Unternehmen zu finden.

Wie ist die Stimmung unter der Mitarbeiterschaft? Froh zurück zu sein oder Furcht vor Ansteckung?

Häberle: Im Großen und Ganzen nehme ich wahr, dass viele Kolleginnen und Kollegen froh sind, mit der Rückkehr in den Betrieb auch ein Stück Normalität zurückzubekommen. Natürlich gibt es aber auch Beschäftigte, die verunsichert sind und diese Sorgen nehmen wir sehr ernst. Alles was gerade passiert, ist Teil eines großen Lernprozesses. Wir haben in kürzester Zeit ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum Schutz unserer Beschäftigten ausgearbeitet und umgesetzt – aber dieses Paket muss jetzt kontinuierlich angepasst werden. Dabei legen wir größten Wert auf die Rückmeldung unserer Kolleginnen und Kollegen.

Herr Deiß, Sie kennen die chinesischen Verhältnisse. Kann das Daimler-Werk oder Deutschland etwas aus deren Erfahrungen mit den Viren lernen?

Deiß: Beim Thema Schutzmasken fahren wir ja ein ähnliches Konzept. Die Schnelligkeit und Konsequenz, mit der China reagiert hat und wie alles wieder mit einer Dynamik hochgefahren wurde, ist jedoch beispielhaft. So sollten wir es auch in Deutschland hinbekommen. Davon bin ich überzeugt. Natürlich gibt es auch andere Maßnahmen, die sich kulturell und vor dem Hintergrund unserer Gesetzeslage unterscheiden.

Produzieren die Fabriken in China wieder voll?

Deiß: Seit drei bis vier Wochen ist die Produktion im Hochlauf und heute im Normalzustand. Die Nachfrage nach unseren Autos dort hat wieder gut angezogen. Das ist auch ein Grund, wieso wir hier in Untertürkheim schon recht früh mit dem Hochlauf begonnen haben. Wir müssen die chinesischen Fabriken versorgen.

Wird der Produktionsstopp also nur eine Delle sein oder wird man es spürbarer merken?

Deiß: Dazu kann man nur spekulieren. Wir fahren momentan auf Sicht. Der Bedarf an Teilen ist schwer abzuschätzen. Wir sollten uns die Flexibilität nach oben offenhalten. Aus heutiger Sicht kann man keine bessere Prognose abgeben.

Wie sieht es bei den Lieferanten aus? Bereiten die Lieferketten Probleme?

Deiß: In der arbeitsteiligen Wirtschaft haben wir global agierende Lieferanten, die beispielsweise in Italien produzieren, wo die Maßnahmen aktuell noch deutlich restriktiver sind. Momentan sieht es gut aus. In dieser Woche gab’s keinen Engpass. Aber wir müssen von Woche zu Woche schauen, wie sich die Situation entwickelt. Denn wenn wir das Volumen erhöhen, müssten auch die Zulieferer nachziehen.

Wie wird sich die Corona-Krise bei der Entwicklung zur E-Fabrik auswirken?

Deiß: Die Elektro-Offensive wird in keiner Weise heruntergefahren. Im Gegenteil: Die Batterie-Produktion in Kamenz wurde beispielsweise auch in den vergangenen vier Wochen nicht heruntergefahren. Die Produktion lief auf vollen Touren – natürlich mit umfangreichen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. Das beweist die Wichtigkeit der E-Mobilität.

Waren die Baustellen für die Batterie-Fabrik in Untertürkheimer Werk beeinträchtigt?

Deiß: Nein. Die Baustellen waren eine dieser Ausnahmen, an denen die Arbeiten im Werk unverändert fortgeführt wurden. Auf den Baustellen für die künftige Batteriemontage in Hedelfingen und Brühl wurde unter strengen Sicherheitsvorschriften kontinuierlich weitergebaut.

Gibt es Überlegungen, was die Urlaubsplanungen im Sommer betrifft?

Häberle: An unserem Standort haben wir eine Betriebsvereinbarung, die besagt, dass ein Großteil der individuellen Urlaubsplanung bis Ende Januar abgegeben werden muss. Das gibt dem Unternehmen und den Beschäftigten Planungssicherheit. Die geplanten und genehmigten Urlaubstage bis Juni sollen auch dieser Planung entsprechend genommen werden. Alles andere würde die Agentur für Arbeit in Zeiten der Kurzarbeit nicht akzeptieren.

Es wirkt so, als ob Sie trotz allem zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Häberle: Ich bin ein Optimist. Wir sollten positiv in die Zukunft schauen. Sowohl im Betrieb als auch privat erlebe ich täglich viele Menschen, die angestrengt daran arbeiten, dass sich die Situation verbessert. Diese Disziplin und Solidarität geben mir Mut.

Deiß: Es gibt den Spruch „Don’t waste a good crises“, also „Verschwende keine gute Krise“. Damit will ich sagen: Aus einer Krise kann man auch immer viel lernen. Für die Zukunft nach der Corona-Krise werden wir aus meiner Sicht deutlich weniger geschäftlich Reisen. Wir haben erkannt, dass Videokonferenzen und Telefonbesprechungen auch international gut funktionieren, wenn diese gut organisiert wurden. Darüber hinaus wird auch die Arbeit im Homeoffice mehr Zuspruch gewinnen.

Das Interview führte Mathias Kuhn