Die Flüchtlingsunterkunft gegenüber dem Tatort in Illerkirchberg soll abgerissen werden. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Ein 27-Jähriger aus Eritrea gesteht, die 14-jährige Ece aus Illerkirchberg erstochen zu haben. Sie soll ihn angeblich bei der Vorbereitung auf einen Überfall aufs Kreis-Passamt in Ulm gestört haben. Der Bürgermeister ist entsetzt. Und das Ulmer Gericht beeilt sich mit der Prozessvorbereitung.

Warum? Dieses Fragewort stand mehrfach auf Schildchen zu lesen, die am Tatort von Illerkirchberg zwischen Kerzen, Kuscheltieren und Blumen platziert wurden. Am 5. Dezember wurde vor der Tür eines Flüchtlingsheims die 14-jährige Ece S. morgens auf dem Schulweg erstochen, ihre 13-jährige Freundin überlebte verletzt. Hauptverdächtiger ist seither ein 27-jähriger Mann aus Eritrea, Bewohner der Unterkunft.

Drei Monate später hat die Staatsanwaltschaft Ulm ihre Anklageschrift gegen den Hauptverdächtigen fertig. Sie lautet auf Mord und versuchten Mord – und enthält, gestützt auf ein Teilgeständnis, eine überraschende Antwort auf die Frage nach dem Motiv. Nicht etwa eine Psychose oder religiöser Wahn sind demnach ursächlich für den Messerangriff, sondern eine Verdeckungsabsicht. Ein psychiatrischer Gutachter hat dem Angeschuldigten laut Staatsanwaltschaft eine „vorhandene Schuldfähigkeit“ attestiert. Dennoch enthalten die neuesten Schilderungen Merkwürdigkeiten.

Erst gegrüßt, dann zugestochen

Laut der Anklagebehörde soll der 27-Jährige am Morgen des 5. Dezember den Entschluss gefasst haben, „unter Einsatz eines Messers bei der für ihn zuständigen Ausländerbehörde beim Landratsamt des Alb-Donau-Kreises in Ulm die Ausstellung eines Ausweisdokuments zu erzwingen“. Kurz nach 7 Uhr am Tattag will der Mann die Flüchtlingsunterkunft verlassen haben, vor der Tür soll er das benötigte Messer dann von seinem Rucksack in seine Jackentasche umplatziert haben. In diesem Moment seien die beiden Mädchen erschienen. In „der irrigen Annahme“ beobachtet und entdeckt worden zu sein, so die Staatsanwaltschaft, habe der Mann „spontan“ beschlossen, die vermeintlichen Zeuginnen zu töten.

Kurz und zum Schein habe der Angeschuldigte die Jugendlichen gegrüßt, aber dann „unter Ausnutzung des Überraschungsmoments“ von vorne auf den Oberkörper der 13-Jährigen eingestochen. Die Messerklinge sei aber an einer Rippe abgelenkt worden, andernfalls wäre die 16 Zentimeter lange Klinge in den Brustkorb eingedrungen, heißt es. Die 14-jährige Ece habe der Eritreer sodann von hinten zu Boden gestoßen und ihr mehrfach mit dem Messer in den Rücken und den Hinterkopf gestochen. Das Mädchen verstarb zwei Stunden später in einem Krankenhaus. Der Angreifer jedoch ging zurück in seine Wohnung, wo er sich selber in den Hals und den Bauch stach und schnitt – „möglicherweise in Suizidabsicht“, so die Staatsanwaltschaft. Der Verdächtige verbrachte nach einer Notoperation in Ulm mehrere Wochen im Justizkrankenhaus Hohenasperg, erst seit Kurzem ist er in einen normalen Zellentrakt verlegt.

Ist die Geschichte mit dem Ausweis ein Vorwand? Nach Information unserer Zeitung hatte der Mann wiederholt beim Landratsamt in Ulm einen eritreischen Pass gefordert. Von dort ist ihm aber wohl deutlich gemacht worden, dass dafür das Generalkonsulat Eritreas in Frankfurt zuständig sei. Ein Überfall hätte ihn also keinesfalls ans angebliche Ziel gebracht.

Seltsam auch: Bei der Polizei schilderte der Angeschuldigte offenbar, er könne sich an die Tötung von Ece erinnern, nicht aber an den Angriff auf die 13-Jährige. Es handle sich in seiner Erinnerung „um ein und dasselbe Mädchen“, so ein Sprecher der Ulmer Staatsanwaltschaft am Dienstag. Ob so ein ausschnittweiser „Blackout“ überhaupt möglich ist, dürfte das Ulmer Landgericht im Prozess noch genau hinterfragen. Zu einer Verhandlung soll es dem Vernehmen nach noch deutlich vor der Sommerpause kommen.

Ein erneut fassungsloser Bürgermeister

Die Pflichtverteidigerin des Eritreers ist derzeit im Urlaub und nicht zu erreichen. Der Bürgermeister von Illerkirchberg, Markus Häußler, sagte auf Anfrage, er sei „zutiefst erschüttert“ über die Beweggründe des mutmaßlichen Täters. „Der Gedanke, dass die Mädchen einfach nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren, ist ebenso unerträglich wie die Vorstellung, was wohl geschehen wäre, wenn der 27-Jährige seinen Plan im Landratsamt hätte umsetzen können“, so Häußler.

Das kommunale Flüchtlingsheim wird laut Gemeinderatsbeschluss von letzter Woche abgerissen. Die Bürgerschaft solle mit entscheiden, was dort neu entstehe, so der Bürgermeister. Den Wunsch nach einem Abriss hatte im Januar auch der Vater von Ece S. bei einer Bürgerversammlung geäußert.