Flüchtlinge im brennenden Moria – Bilder wie diese soll es nicht mehr geben. Foto: AFP

Beim Thema Flüchtlinge und Migration geht ein Riss durch die EU. Der wird durch die Kommissionsvorschläge nicht kleiner. Auch in Deutschland sind die Gräben tief.

Stuttgart - Wenn Hilfsorganisationen über die Vorschläge der EU-Kommission zum Thema Migration befinden müssten, würden die Ideen aus Brüssel wohl kaum jemals umgesetzt werden. „Leider hat die Kommission im Endeffekt dem Druck der EU-Regierungen nachgegeben, die vor allem die Anzahl der Menschen verringern wollen, denen Europa Schutz gewährt“, erklärte die Europa-Chefin der Menschenrechtsorganisation Oxfam, Marissa Ryan. Die Caritas sieht Grund- und Menschenrechte von Asylsuchenden in Gefahr und Anita Bay Bundegaard, die EU-Direktorin von Safe the Children, erklärt: „Wir befürchten, dass die neu vorgeschlagenen Maßnahmen genau die Fehler wiederholen, die zu der schrecklichen Situation in Moria und den katastrophalen Todesfällen im Mittelmeer geführt haben.“

Österreichs Kanzler Kurz ist strikt

Die Einschätzungen der Migrationsspezialisten sind allerdings nicht maßgeblich, wenn es darum geht, die am Mittwoch vorgestellten Maßnahmen umzusetzen. Das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten müssen nun darüber beraten – und die nach dem Austritt Großbritanniens verbliebenen 27 Mitgliedsstaaten sprechen bei dem Thema Migration alles andere als mit einer Stimme. Aus Sicht des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) ist die Verteilung von Flüchtlingen in der EU gescheitert. „Das lehnen so viele Staaten ab. Das wird auch nicht funktionieren“, sagte er noch kurz bevor die EU-Kommission in Brüssel ihre Vorschläge bekannt gab. Kurz sagte, er finde es „gut, wenn sich die Europäische Kommission dem Thema Asyl und Migration“ widme. Das Thema könne nur „gesamteuropäisch gelöst werden“. Die Verwendung von Begriffen wie Solidarität in der Migrationsdebatte lehnte Kurz aber ab. Das war ein klarer Seitenhieb: das in Brüssel am Mittwoch vorgestellte Konzept sieht ausdrücklich einen „Mechanismus zur verpflichtenden Solidarität“ vor.

Italiens Premier Conte ist zuversichtlich

Italiens Premierminister Giuseppe Conte gab sich auf Twitter zuversichtlich. Der Pakt sei ein „wichtiger Schritt hin zu einer wahrhaft europäischen Migrationspolitik“. Italien zählt zu den Ländern, die am meisten unter der Last zu ächzen haben, Flüchtlinge zu versorgen. Conte schrieb, dass „wir Gewissheit über Rückkehr und Umverteilung brauchen: Die Ankunftsländer können die Ströme nicht allein im Namen Europas steuern. Demgegenüber schloss der tschechische Innenminister Jan Hamacek jede Form der Zwangsaufnahme von Migranten aus: „Wir sind dagegen. Wir werden keinem Vorschlag zustimmen, der eine Verpflichtung zur Umsiedlung enthält“, sagte er.

Auch in Deutschland ist der Graben bei diesem Thema tief – Regierung und Opposition stehen dabei auf unterschiedlichen Seiten. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat die Pläne als „gute Grundlage für weitere Beratungen“ begrüßt. Beim nächsten Treffen der Innenminister am 8. Oktober werde der Vorschlag beraten, eine Einigung werde noch während der deutschen Ratspräsidentschaft in diesem Jahr angestrebt, sagte Seehofer. Demgegenüber zeigt sich die Opposition in Berlin skeptisch bis ablehnend. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sprach von einem „Sammelsurium untauglicher Vorschläge“ und von „Ladenhütern“. Ulla Jelpke, die Innenexpertin der Linken warf der EU-Kommission vor, an einer „Ausweitung des menschenverachtenden Lagersystems auf die gesamte EU-Peripherie“ zu arbeiten. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte, der Pakt zeige weder Solidarität mit Flüchtlingen, noch mit den EU-Ländern, die eine Außengrenze haben.