Ein Polizist mit seiner Dienstwaffe Heckler und Koch P 2000. In Baden-Württemberg wurden Beamtinnen und Beamten mit Betreten der Schießanlagen ohne ihr Wissen in Ton und Bild aufgezeichnet. Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Zwei Jahre lang wurden Polizisten auf den Schießanlagen der Polizei in Baden-Württemberg ohne ihr Wissen in Ton und Bild aufgezeichnet. Davon will die Führungsspitze des Ressorts nichts gewusst haben – eine feige Fehlerkultur, kommentiert Franz Feyder.

Stuttgart - Zwei Jahre haben sie nichts getan. Gar nichts. Obwohl dem auch für die Digitalisierung des Landes verantwortlichen Innenministerium bekannt war, dass die in den neuen Schießkinos verwendeten Aufzeichnungsmodule jedes private wie dienstliche Wort mitschnitten, jeden Schritt filmten. Ohne Wissen der Polizistinnen und Polizisten. Politiker wie Gewerkschaften sprechen von möglichen Straftaten. Schuld sind die Untergebenen, sagt das Ministerium. Unwissend seien Führung der Landespolizei und des Hauses über den Vorgang. Eine bemerkenswerte Fehlerkultur in einer Zeit, in der die Werte von Polizistinnen und Polizisten im Land diskutiert werden: Es ist „wichtig, sich seiner eigenen Werte und Einstellungen, aber auch der beruflichen Werteanforderungen bewusst zu sein“, heißt es in einem Aufsatz in der DPZ, der Polizei Zeitschrift für Baden-Württemberg.

Jede Silbe mag man in diesem Satz unterstreichen, wäre da nicht jene Antwort auf eine FDP-Landtagsanfrage, mit der das Innenministerium zu erklären versucht, warum mindestens zwei Jahre lang seinen Polizisten so auf die Pelle gerückt wurde. Dass sie in der Regel ohne ihr Wissen auf Schritt und Tritt in Bild und Ton aufgezeichnet wurden, sobald sie die Schießkinos betraten. Dass Kritik, Tipps, private Gespräche aufgenommen wurden. Was für ein Lauschangriff!

Das alles, ohne dass ein landeseinheitliches Datenschutzkonzept erstellt wurde – obwohl das Problem im Juni 2019 erstmals protokolliert wurde und eine Lösung im Ministerium erarbeitet werden sollte. Bis zur Berichterstattung unserer Zeitung in diesem Juni muss das wohl im Landespolizeipräsidium (LPP) in Vergessenheit geraten sein.

Im LPP hätten, so steht es in der ministerialen Antwort ans Parlament, nur Sachbearbeiter von dem landesweiten Problem gewusst. Keinesfalls „weitere Stellen innerhalb des LPPs oder der Leitungsebene des Innenministeriums“. Allen Ernstes argumentiert das auch für Digitalisierung im Land verantwortliche Ressort, dass es dort offenbar quantitative Voraussetzungen gibt, bevor gesetzeskonforme Lösungen erarbeitet werden: Als das Problem bekannt wurde, seien erst einzelne Dienststellen, sieben von 23, mit dem Aufzeichnungsmodul ausgestattet gewesen. Man habe abwarten wollen, bis alle Anlagen eingebaut wurden. Eine beachtliche Argumentation: Schließlich geht es bei den Aufzeichnungen auch um den Verdacht einer Straftat.

Obwohl das Parlament in seiner Anfrage wörtlich aus den Protokollen der Besprechungen zitiert haben will, enthält ihm das Ministerium die Information vor, dass nach der Besprechung im Juni 2019 zwei Referate des LPP das Problem verantwortlich lösen sollten. Die Botschaft, die so höchst offiziell an die 28 500 Polizisten des Landes gesendet wird: „Unsere Werte sind nur für euch gemacht. Für uns gelten andere.“ Gelebte Fehlerkultur, Wahrheit, Verantwortung – das scheinen Werte zu sein, die außerhalb des Ministeriums eingefordert und gelebt werden sollen. Wer aber erst einmal in den Spitzenpositionen der Polizei angekommen ist, braucht derlei als Ballast empfundenes Rüstzeug offenbar nicht.

Die Gefahr: Untergebene werden am besten geführt, verinnerlichen Werte und richten ihr Verhalten an ethischen Prinzipien aus, wenn ihnen ihre Vorgesetzten das vorleben. Wer von seinen Untergebenen fordert, zu seinen Fehlern zu stehen, verantwortlich damit umzugehen, der muss das selbst tun. Das ist moderne Menschenführung. Alles andere ist Denken in Seilschaften, Feigheit. Bleibt Geschwätz – oder nur ein Aufsatz.

„Es ist wichtig, sich seiner eigenen Werte und Einstellungen, aber auch der beruflichen Werteanforderungen bewusst zu sein!“ Dieser Satz gehört in Marmor gemeißelt. Aufgestellt gehört er im Eingang des Innenministeriums. Tag und Nacht angestrahlt, damit es alle sehen – und kapieren.