Das Stuttgarter Rathaus ist Ziel vieler Kandidaten bei der Kommunalwahl – auch die Kammerkritiker in der IHK mischen mit Foto: LG/Kovalenko - LG/Kovalenko

Seit einigen Jahren macht die kammerkritische Kaktus-Initiative in der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK) Wirbel. Nun will der Verbund von Kleinunternehmern die Rathäuser erobern.

StuttgartDarf man Insidern glauben, muss die Stuttgarter IHK einst eine Art Hort des Friedens gewesen sein. Sitzungen der Vollversammlung, also des Parlaments der regionalen Wirtschaft mit seinen gewählten Vertretern, verliefen meist in völliger Harmonie. Doch seit ein paar Jahren ist das vorbei. Seither sitzen Vertreter der sogenannten Kaktus-Initiative mit in diesem und in anderen Gremien. Seither werden Sitzungen aus Protest verlassen, Anträge nicht zugelassen und reihenweise Klagen gegen die IHK eingereicht.

176 000 Mitglieder aus der Region hat die Stuttgarter IHK. Der Großteil davon sind Kleinunternehmen – und die sind nicht immer wild auf die Pflichtmitgliedschaft. Aus ihren Reihen setzen sich die Kakteen zusammen. Sie wollen die Pflichtmitgliedschaft abschaffen und mehr Transparenz in der Kammer erreichen. So manchen Erfolg können sie dabei inzwischen verbuchen. Zuletzt etwa eine Beitragssenkung – wobei die von vielen als eigener Erfolg ausgelegt wird. Bei der vergangenen Wahl zur Vollversammlung haben sie 32 von 100 Sitzen errungen. Und eines ist sicher: Wo immer die Kakteen mitmischen, wird heftig diskutiert. Sie selbst sehen sich als Aufklärer, ihre Gegner sprechen von reinem Krawall und Selbstinszenierung.

„Bei der IHK gibt es immer noch viel Arroganz und viele unnötige Scharmützel“, sagt Kakteen-Vertreter Jürgen Klaffke. Es gebe dort keine Streitkultur mehr. Dass überhaupt wieder mehr über Inhalte gesprochen werde, sei den Kammerkritikern zu verdanken. „Bei allem Stress macht es uns nach wie vor Spaß, in der Vollversammlung zu wirbeln“, fügt er hinzu. Das wolle man auch nach der nächsten IHK-Wahl im kommenden Jahr so fortsetzen. Doch davor stehen für manche der Kakteen noch andere Wahlen an. „Wir wollen auch in die Rathäuser“, sagt Klaffke. Man habe festgestellt, dass die Spielregeln im Gemeinderat dieselben seien wie in der IHK: „Auch dort gilt es, das System zu durchbrechen und wieder für eine Streitkultur zu sorgen.“ Deshalb tritt er selbst bei der Stuttgarter Kommunalwahl an – und zwar als SÖS-Kandidat. Der Unternehmer, der in der Altenpflege-Beratung tätig ist, bekommt dabei Unterstützung. Auch die Plieninger Einzelhändlerin Martina Ueberschaar findet sich auf der SÖS-Liste. Mit den Plätzen 12 und 13 scheint ein Einzug in den Gemeinderat eher unwahrscheinlich – doch die Kakteen sind gut vernetzt und räumen bei den IHK-Wahlen regelmäßig hohe Stimmenzahlen ab. Auch in der Region treten diverse Kaktus-Vertreter in ihren Gemeinden an, dort zumeist für die Grünen – mit unterschiedlichen Chancen.

„Wir anderen Kakteen finden das richtig gut. Wir sind ja nicht parteipolitisch ausgerichtet, aber wir halten es für wichtig, dass auch unsere Denkweise als kleine Unternehmer in die Rathäuser eingebracht wird“, sagt Kaktus-Mitgründer Clemens Morlok. Dazu gehöre, nicht nur über bezahlbaren Wohn-, sondern auch Gewerberaum zu reden. Auch auf anderer Ebene drängen die kritischen Kleinunternehmer in die Öffentlichkeit. Am 23. Mai laden sie gemeinsam mit den Anstiftern und dem Württembergischen Kunstverein in dessen Räume am Schlossplatz. Beim Maifest stehen zwischen 18 und 23 Uhr Musik, Satire, Führungen und Vorträge auf dem Programm. Und mit Sicherheit auch ein bisschen Wahlkampf.