Der Osterhase gehört zu Ostern dazu – aber nicht nur er. Foto: Visions-AD/Fotolia

Eierleser, Herrgottsbscheißerle oder brennende Schwämme. Ostern ist auch das Fest der Bräuche. Wir stellen im folgenden Bräuche vor, die in der Region Stuttgart und im Land ausgeübt werden.

Ostern, das Fest der Auferstehung des Heilands, ist das bedeutungsvollste Hochfest der Christen. Neben den Gottesdiensten zur Osternacht gibt es eine Reihe von Bräuchen. Unser Autor und Brauchtumsexperte Wulf Wager stellt einige dieser Bräuche vor, die in Stuttgart, Region und darüber hinaus ausgeübt werden.

Summenformel der Eier

Ein noch im 19. Jahrhundert sehr weit verbreiteter Brauch ist das Eierlesen oder Eierlaufen. Heute wird er nur noch in Kiebingen bei Tübingen, Egesheim bei Tuttlingen, Sigmaringendorf, Eichen bei Schopfheim und in Stuttgart-Hofen begangen. Am Ostermontag treffen sich alle zwei Jahre im Rottenburger Teilort Kiebingen die Eierleser, um ein Spektakel der besonderen Art aufzuführen. Die Eierleser sind der Jahrgang der 19- und 20-Jährigen. Schon Wochen vorher haben sie die beiden Sportlichsten auserkoren, Eierleser und Läufer zu sein. Denn zwischen den beiden wird ein Wettkampf ausgetragen, an dem Adam Riese die mathematische Summenformel erklärte. Die jungen Männer ziehen in Begleitung ihrer Freundinnen auf den Sportplatz, wo die Vorbereitungen bereits getroffen sind. Die Jahrgänge – die 19-Jährigen tragen grüne, die 20-Jährigen rote Schärpen – stellen sich entlang der Eierreihe einander gegenüber. 100 rohe Eier sind in dieser Reihe in gleichmäßigen Abständen ausgelegt. Mit dem Startschuss läuft der Läufer ins benachbarte Rottenburg, wo er in einem bestimmten Haus ein Päckchen abholen muss.

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Der Eierleser beginnt nun mit dem Einsammeln der Eier. Nach jedem aufgelesenen Ei läuft er zurück, um dem Fänger das zerbrechliche Wurfgeschoss in einen mit Spreu gefüllten Korb zu werfen. Die Strecke, die der Eierleser durch das ständige Hin und Her läuft, entspricht in der Summe genau der Strecke, die der Läufer hinter sich zu bringen hat. Dies ist errechenbar durch die mathematische Summenformel, also die Summen der Zahlen von 1 bis 100. Das ergibt genau 5050, also 5,05 Kilometer. Wenn der Läufer zurück ist oder der Eierleser alle Eier gesammelt hat – je nachdem, wer zuerst fertig ist – erhält der Sieger als Trophäe eine geschmückte Tanne und beide Jahrgangsgruppen ziehen zum Festzelt, wo das festliche Ereignis feuchtfröhlich bei Tanz und »Eierdotsch«, einer Art Omelette, ausklingt. Ältere Kiebinger berichten davon, dass der Läufer früher durch eine Pause in einem an der Strecke gelegenen Wirtshaus manchmal seinen Sieg verspielt hat. Um das zu verhindern, wird der Läufer heute von einem Radfahrer begleitet, der auf ihn aufpasst.

Butzimummel und Bäberich

Ein österliches Eierspektakel der ganz besonderen und vor allem deftigen Art findet am Ostermontag im Schopfheimer Stadtteil Eichen im Wiesental ganz im Süden des Landes statt. Dort gibt es den Eichener See, der wegen des Karstgesteins verschwunden ist, aber hin und wieder plötzlich erscheint. Wenn der See nicht da ist, findet genau dort das Eierspringen statt.

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Brauchträger sind alle Junggesellen zwischen Konfirmation und Hochzeit. Das Gros sind die »Butzimummeln«, 25 bis 30 Burschen und Männer in weißen Hosen und Hemden, die an Ellenbogen und über den Knien mit roten Bändern verziert sind. Eine rote Krawatte schließt die Verkleidung ab. Früher wurde wohl auch eine Maske getragen. Darauf weist das Wort Butzimummel hin. Der Auftakt des Eierspringens ist bereits am Nachmittag des Ostersonntags. Das „Anke-Bäbi“ und der „Bäberich“ gehen in der alten Markgräfler Tracht mit der großen Schlupfkappe, die ein bisschen an Mickey-Maus-Ohren erinnert, von Haus zu Haus und sammeln rohe Eier und Anke (Butter). Rund 600 Eier werden von den beiden Jungs, die das Paar darstellen, eingesammelt. Begleitet werden sie auf ihrem Weg von den Butzimummeln.

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Am Ostermontag dann wird die Spielfläche am oder im Eichener See abgesteckt und abgesperrt. Um 13 Uhr geht’s los. Auf dem Feld sind die Butzimummeln als Spieler. Der Sammler hat nun die Aufgabe, aus einem Korb auf Sägmehlhäufchen die rohen Eier abzulegen, immer nur eines pro Gang. Er geht dabei im Kreis, sodass seine Bahnen immer weiter und größer werden, bis auf allen Häufchen je ein Ei liegt. Anschließend sammelt er die Eier wieder in der gleichen Weise ein, so dass die Bahnen immer kleiner werden. Ein anstrengendes Treiben. Doch das Spiel eskaliert. Denn kaum hat es begonnen, greifen auch schon die Zuschauer ein und versuchen die vom Sammler ausgelegten Eier zu stehlen. Doch die Butzimummeln sind darauf vorbereitet und wehren sich mit luftgefüllten Saublodere (Schweinsblasen), die sie an Stecken festgemacht haben. Außerdem sind sie mit Schuhcreme bewaffnet. Wer von ihnen abgefangen wird, wird gnadenlos von unten bis oben eingeschwärzt. Dennoch fehlt es nie an Wagemutigen, die sich auf diese dem Rugby ähnelnde Schlacht einlassen. Dreck, Frostbeulen und Blessuren sind nicht ausgeschlossen. Zeitgleich laufen zu Beginn des Spiels zwei Butzimummeln vom See zum etwa zwei Kilometer entfernten Kürnberg, um dort im Gasthof Sternen eine Flasche Wein abzuholen.

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Kaum haben sich die beiden Läufer auf den Rückweg gemacht, muss der Sammler alle Eier wieder einsammeln. Doch auch hier mischen sich die Zuschauer ein und legen zuvor gestohlene Eier wieder auf die Sägemehlhäufchen. Die gleiche Schlacht setzt wieder ein. Der Sammler muss in jeder Runde das Ei einsammeln, das auf dem äußersten Häufchen liegt. Wen wundert es also, dass fast immer die Zuschauer und im Wettbewerb die Läufer gewinnen. Das ist aber aus Sicht der Eichener egal. Schließlich haben alle einen Mordsspaß dabei. Am Abend findet der „Eier-Anke-Ball“ statt. Mit Spiegeleiern und Tanz wird das Fest gefeiert, zu dem jeder Mitwirkende entweder ein Mädchen oder einen Doppelliter Wein als Entschädigung mitbringen muss.

Geschmückte Brunnen

Dass auch heute noch Bräuche neu entstehen können, zeigen die vielfältigen, hübsch dekorierten Osterbrunnen im Ländle. Die Eier als Sinnbild des Lebens und das Wasser als Lebenselixier gehen hier eine geniale Symbolkombination ein. Dieser Brauch stammt ursprünglich aus dem Fränkischen und wird seit mindestens 20 Jahren auch bei uns im Land praktiziert. Einer der opulentesten Osterbrunnen entsteht alljährlich in der 2400-Seelen-Gemeinde Schechingen auf der Ostalb. Fast 13 000 echte, bemalte Hühner-, Gänse- und Straußeneier schmücken den Dorfbrunnen vor dem Schechinger Rathaus und machen ihn zu einem spektakulären Kunstwerk. Vom Herbst bis ins Frühjahr hinein werden die Eier jedes Jahr aufwendiger bemalt. 30 Malnachmittage und -abende und rund 50 Helfer sind notwendig um die Pracht in 1500 Arbeitsstunden aufzubauen. Das Anbringen der Eier aber ist zwei Frauen vorbehalten, die mit viel Fingerspitzengefühl auf Ausrichtung und optimalen Abstand der Eier zueinander achten. Diese immense zeitliche, handwerkliche und kunstsinnige Arbeit wir alljährlich durch den Besuch von rund 50 000 Menschen belohnt. Es gibt sogar ein eigenes Osterbrunnenlied. Auch in anderen Orten sind herrlich geschmückte Osterbrunnen zu bestaunen, zum Beispiel in Maulbronn.

Brennende Schwämme

Ein einzigartiger Osterbrauch wird in St. Peter im Schwarzwald praktiziert – das Osterfeuertragen. Es beginnt für die Jungs im Ort Wochen vor dem Osterfest mit der Suche nach einem geeigneten Baumschwamm, den sie dann daheim trocknen. Dazu fädeln sie ihre Fundstücke an Drähten auf und hängen sie vors Haus. Am Osterfeuer, das der Pfarrer am Nachmittag des Ostersonntags nach der Vesper auf dem Kirchplatz anzündet und weiht, entzünden die Buben ihre an Drähten befestigten Schwämme und laufen von Haus zu Haus, um den Bewohnern das Osterfeuer zu bringen. Dabei schwenken sie die glimmenden Schwämme. Nach alter Tradition schneidet die Hausfrau ein Stückchen ab, legt es in das Ofenfeuer mit der Bitte, dass ihr Haus vor Unglück bewahrt bleibe. Die Buben erhalten für das Tragen der Schwämme von den Familien Geld oder Süßigkeiten – ein Anreiz, der zum Braucherhalt beiträgt.

Herrgottsbscheißerle

Das höchste schwäbische Kulinarium ist die Maultasche. Zu ihrer Entstehung gibt es viele Legenden. Eine davon ist, dass auf diese Weise die Zisterziensermönche des Klosters Maulbronn in der Fastenzeit das Fleisch vor dem lieben Herrgott verstecken wollten, was zum Beinamen »Herrgottsbscheißerle« führte. Eine andere Variante ist, dass es Protestanten waren, die der ursprünglich nur mit Kräutern und Spinat gefüllten Teigtasche sozusagen heimlich Fleisch beifügten. Es ist Tradition in schwäbischen Familien, am Gründonnerstag »Maultaschen in der Brühe« zu essen. Der Gründonnerstag leitet sich übrigens nicht von der grünen Fülle der Maultasche ab, sondern von dem althochdeutschen Wort »grinan«, was »greinen«, also weinen heißt. Egal – Maultaschen am Gründonnerstag müssen einfach sein!

Kreuzigung im Kurpark

Aus der angestammten Heimat haben italienische Migranten vor über vierzig Jahren den in Italien weit verbreiteten Brauch der Karfreitagsprozession mit in Stuttgarts ältesten und größten Stadtteil Bad Cannstatt gebracht. Tausende von Gläubigen säumen alljährlich den Kreuzweg, bei dem die Passion Jesu Christi vom letzten Abendmahl über das Verhör durch Pontius Pilatus bis zur Kreuzigung von Mitgliedern der Italienischen Mission dargestellt werden. Italienische und deutsche Geistliche zelebrieren die Prozession gemeinsam. Besonders beeindruckend sind die Gerichtsverhandlung, die auf dem Marktplatz stattfindet, und die Kreuzigung selbst, die im Kurpark gespielt wird.