Häufiger Gast von Talkrunden: die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht Foto: dpa/Britta Pedersen

Es war kein Schulterschluss mit der AfD, aber ein Hinterfragen der Ursachen der „Wut von Bürgern“. Die Linke Wagenknecht lieferte sich mit CDU-Landesminister Reul ein Wortduell bei Maybrit Illner im ZDF.

Stuttgart - Exakt dreimal fragte die Moderatorin Maybrit Illner am Donnerstagabend in ihrer Talkrunde den AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla aus Sachsen, auf wessen Seite er nun stehe: Auf der von AfD-Parteichef Jörg Meuthen, der das Gerede von einer Corona-Diktatur für falsch hält, oder der vom AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der gerade dieses Wort geprägt hat. Exakt dreimal erhielt sie dann von Chrupalla ausweichende Antworten: „Es gibt keine Seite für mich“, so Chrupalla. Als Bundessprecher habe er eine integrative Funkion für alle Strömungen, und da gebe es nun mal die soziale, die patriotische und die konservative Ausrichtung. Und Meuthen sei bis Ende nächsten Jahres als Bundesvorsitzender gewählt, er werde mit ihm gut zusammenarbeiten. Dass er auf dem AfD-Parteitag den Meuthen-kritischen Satz gesagt hat, man „wasche öffentlich keine schmutzige Wäsche“, das musste ihm Moderatorin Illner vorhalten, führte dann aber auch nicht zu einer näheren Positionierung.

Eine ungewöhnlich spannende Runde

Es war eine ungewöhnlich spannende Talkrunde mit der Fragestellung, wer denn nun in der Corona-Krise profitiere von „Angst und Spaltung“. Die Nähe der AfD zu Corona-Leugnern sowie Verschwörungstheoretikern war das Thema, aber ob die Pandemie der rechtspopulistischen Partei wirklich hilft – sie dümpelt in den Umfragen bei neun Prozent – das ist fraglich. „Wir sind keine Corona-Leugner“, so AfD-Sprecher Chrupalla, aber man wolle sich „von Kanzlerin Merkel nicht vorschreiben lassen, wie man Weihnachten zu feiern“ habe. Warum sein Wahlkreis Görlitz nun ausgerechnet ein Hotspot bei den Neuinfektionen ist, dass konnte Chrupalla auch nicht genau erklären. „Wenn man infiziert ist, dann ist man ja noch nicht krank“, sagte er. Im übrigen zeige die Corona-Krise „wie im Brennglas“ die Probleme der Gesellschaft und in Görlitz seien die Krankenhäuser unter Druck, man habe Geburtsstationen geschlossen und es fehle Personal.

Unsere Demokratie funktioniert nicht, sagt Wagenknecht

Rasch zum Höhepunkt der Sendung aber führten Wortbeiträge der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die zwar seit einem Jahr keine Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Bundestag mehr ist, aber, aus welchen Gründen auch immer, ständig zu Talkrunden eingeladen wird. Wagenknecht zeigte kein Verständnis für Vergleiche aus den Reihen der AfD, die die Situation Deutschlands heute mit der von 1933, dem Beginn der NS-Diktatur, gleichsetzen, das sei „absurd“ und so etwas müsse „Geschichtslehrer ja in den Suizid treiben“.

Aber gleichwohl konstatierte Wagenknecht ähnlich wie die AfD, „dass wir keine funktionierende Demokratie“ haben. Die starken wirtschaftlichen Unternehmen, die sogar Dividenden auszahlten, die hätten eine enormen Einfluss auf die Politik und kassierten mehr Rettungshilfen in der Corona-Krise als „alle kleinen Unternehmen und die Selbstständigen“ zusammen. Die Corona-Hilfen seien nicht vom Bedarf gesteuert, sondern von „den starken Lobbys“.

In der Krise fühlen sich viele im Stich gelassen

Wagenknecht äußerte Verständnis für die „Wut der Bürger“, viele fühlten sich in der Corona-Krise im Stich gelassen, denen gehe es um ihre Existenz, und die grün-liberalen Anliegen wie „Gender-Sternchen“ oder „Live-Style-Fragen“ interessierten die überhaupt nicht, und man müsse sich doch fragen, warum so viele Arbeiter als Wähler von SPD und Linken zur AfD abgewandert seien, obwohl die „üble und finstere Gestalten“ in ihren Reihen habe. Auch was die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen anbelangte, fand Wagenknecht klare Worte: „Die, die das umtreibt, die muss man doch ernst nehmen. Ist man denn kein ordentlicher Staatsbürger mehr, wenn man zum demonstrieren auf die Straße geht?“

Der CDU-Minister ärgert sich über „Albernheiten“

Zumindest beim CDU-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, lösten Wagenknechts Worte über den Einfluss der Konzerne eine kleine Wutrede aus: „So etwas Albernes habe ich noch nie gehört. Das ist wieder so eine Kapitalismuskritik von Ihnen!“ Die Annahme, dass in der jetzigen Lage die Wirtschaft das Sagen habe, sei völlig abwegig. Im übrigen nehme die Politik jetzt ständig eine Abwägung vor, „dass wir nicht zu stark eingreifen in die Grundrecht“. Allgemein bescheinigte Reul den Bürgern in der Corona-Krise – auch wenn sie demonstrieren – ein moderates Verhalten: „Die allermeisten wollen keinen Krach.“

Auf einer Demo mit Rechtsradikalen – reichen da 1,50 Meter Abstand?

Es oblag dann dem Journalisten Georg Mascolo, mal auf die ernste Lage der Pandemie hinzuweisen: 3000 Tote in den USA täglich, dass sei mehr als beim Terroranschlag von 9/11 in New York und bis zu 500 Tote am Tag in Deutschland sei ebenso unerträglich. Mascolo, eigentlich kritischer Enthüllungsjournalist, bescheinigte dem deutschen Staat, dass er „mit großer Vernunft“ durch die Krise navigiere. Er verfolge die Strategie, dass einige die Last tragen müssten – Gastronomie, Freizeitindustrie – damit andere wichtige Bereiche wie die Schulen geöffnet bleiben könnten. „Das mögen manche als ungerecht empfinden. Aber hat jemand eine andere Strategie?“ Was die Corona-Demonstrationen anbelangte, da meinte Mascolo, es sei jedermanns Recht, da hinzugehen, aber wenn man da gemeinsam mit Rechtsradikalen marschiere, „dann reicht ein Mindestabstand von 1,50 Meter ja wohl auch nicht“. Mascolo sagte, dass es für die AfD zum Problem werde, wenn der Verfassungsschutz sie in ihrer Gesamtheit – und nicht nur den rechten Flügel – als Beobachtungsfall einstufe. Da könnten sich dann Wähler abwenden.

Dreimal die gleiche Aussage – das rügt die Moderatorin

Für Toni Chrupalla wäre eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz indes ein Beleg dafür, dass „das Innenministerium den Verfassungsschutz missbraucht“ und „die größte Oppositionspartei im Land“ diskriminiert werde. Murmelnd wies Chrupalla daraufhin, dass die AfD vielleicht ein paar Rechtsextreme in ihren Reihen habe, aber die Linke habe ja auch Linksextreme. Von Moderatorin Illner fing Chrupalla sich dann eine Rüge ein: Dass mit der „größten Oppositionspartei“, das habe er jetzt schon dreimal gesagt. Wiederholungen sind ein Sündenfall in Talkrunden.