Maybrit Illner lief in ihrer Sendung zur Höchstform auf. Foto: dpa/Carmen Sauerbrei

Maybrit Illner legt sich in ihrer Talkrunde gleich mit zwei Ministerpräsidenten an. Die Überraschung aber ist ein Virologe aus Hamburg: Der rechnet vor, wie viele Menschen jedes Jahr an Lungenentzündung sterben.

Stuttgart - Schon der Titel der Sendung war einen Tag nach dem Kanzler-Gipfel wenig schmeichelhaft für Politiker: „Corona-Chaos, gerät die Pandemie außer Kontrolle?“ – und folgerichtig geriet die Moderatorin persönlich mit zwei geladenen Politikern in Harnisch: der SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, und dem Schwesig solidarisch zur Seite stehenden Bodo Ramelow (Linke), Regierungschef in Erfurt.

Einmal wurde Maybrit Illner emotional

Zunächst musste Schwesig der Illner erklären, ob nicht Gerichte in ihrem Land ähnlich wie in Baden-Württemberg und Niedersachsen das Beherbergungsverbot bald kippen werden, an dem sie noch festhält. Aber Schwesig zeigte sich zuversichtlich: „Unser Oberverwaltungsgericht hat schon zuvor Reisebeschränkungen für Gäste von außen akzeptiert.“ Mecklenburg-Vorpommern sei halt ein Hochtourismus-Land, „da müssen wir die Kontrolle haben“. Die privat in Berlin und Bonn lebende Illner wurde da emotional: „Was können denn wir dafür? Die Berliner sind ausgesperrt. Wir haben de facto eine Urlaubssperre.“

Die Reisenden binden Testkapazitäten

Wenig beeindruckt schien Illner dann von Schwesigs Kompromissvorschlägen, etwa dem Verzicht auf die Quarantäne und einen zweiten Test sowie eine Verlagerung der Verantwortung, ob jemand reisen darf oder nicht, in die Zuständigkeit der Gesundheitsbehörden eines Risikogebiets. „Wir freuen uns über alle Gäste. Aber ohne Maßnahmen geht es nicht.“ Ziemlich einsam war es trotzdem um Schwesig. Dass die Beherbergungsverbote unsinnig seien und eigentlich nur Testkapazitäten binden, die woanders dringend gebraucht werden, das bestätigten im Laufe der Sendung noch drei Experten: der Frankfurter Amtsarzt René Gottschalk, Susanne Johna von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit aus Hamburg, die damit auch Ramelow zu Widerworten reizten.

Man solle doch nicht so tun, als ob die Reisen ungefährlich seien, so der Ministerpräsident von Thüringen. Und dann schilderte er markante Infektionsgeschehen in seinem Bundesland: sieben hätten sich auf einer Dialysestation infiziert („das kann eigentlich gar nicht sein“), 15 Patienten in einem Krankenhaus, eine Männergruppe beim Junggesellenabschied in Budapest und eine Seniorengruppe auf einer Busreise ins tschechische Karlsbad.

„Wir sind doch keine 16 Dödel“, sagt Ministerpräsident Ramelow

Mal abgesehen von einem überraschenden Bekenntnis zur Armee – „Ich bin der Bundeswehr dankbar. Ohne ihren Corona-Einsatz in Sonnenberg und Apolda hätten wir es nicht geschafft“ – lieferte sich Ramelow dann noch einen Disput mit Illner. Die fragte, ob die Politik nicht unvorbereitet den Corona-Gipfel angegangen sei, sie hätte doch gewusst, dass Herbstferien vor der Tür stehen oder sei sie „überrascht“ gewesen: Ramelow antwortete einigermaßen ungehalten mit einer Medienschelte, auch der Journalismus müsse sich mal hinterfragen: „Wir sind doch nicht 16 Dödel, die da nur durcheinander geredet haben. Wir haben acht Stunden hart gearbeitet. Wir haben einen einheitlichen Lockdown verhindert und wir haben einen Instrumentenkasten für Maßnahmen geschaffen.“ Im übrigen sei man nicht überrascht worden, habe sich wochenlang vorbereitet.

So ein schlechtes Zeugnis stellten die geladenen Experten den politischen Beschlüssen dann aber gar nicht aus. „Die Maßnahmen sind ausreichend“, meinte der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes, René Gottschalk, aber die Kommunikation müsse besser werden, sonst „bröckelt“ die Bereitschaft der Menschen zum Mitmachen. Man habe an München gesehen, dass man Fallzahlen „auch wieder nach unten kriegen kann“. Gottschalk, der sich in der Debatte um Reiseverbote „an die Zeit des Dreißigjährigen Krieges erinnert“ fühlte, hatte aber ein anderes Kernanliegen: Corona sei weder Ebola noch das Lassa-Fieber, vier Fünftel der Infizierten entwickelten keine oder nur leichte Symptome. Es dürfe nicht nur auf die Zahl der Neuinfektionen geschaut werden, es müsse auch die Belegung der Krankenhäuser und der Intensivbetten in Betracht genommen werden zur Bewertung der Lage. Auch werde nicht unterschieden zwischen Sterblichkeit und Mortalität. Wenn ein Mensch mit dem Corona-Virus bei einem Verkehrsunfall umkomme, dann könne der in der Statistik der Corona-Toten erscheinen. „Das muss überdacht werden.“

Ähnliche Töne schlug der Virologe Schmidt-Chanasit an, der darauf hin wies, dass jährlich 700 000 Menschen an einer Lungenentzündung erkrankten und 300 000 deswegen in ein Krankenhaus müssten, 40 000 stürben daran: „Aber für die Pneumonie gab es noch keine Talksendung“, so Schmidt-Chanasit. Müssen wir eines Tages Corona als Normalität betrachten? Bodo Ramelow glaubt Ja: „Wir werden lernen müssen, mit Corona zu leben.“ Das Autofahren sei übrigens auch ein Lebensrisiko. Alle könne man nicht ausschalten.