Lindner, Baerbock, Scholz (von links) – einer von ihnen war bei Illner kein Thema. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Annalena Baerbock und Christian Lindner geben Einblicke in das künftige Regierungshandeln. Das ist ebenso spannend wie das, was sie gerade nicht sagen.

Stuttgart - Es ist ja so etwas wie eine Grundsatzfrage, ob man Bücher maßgeblich nach ihrem ersten Satz, oder zumindest nach ihrer ersten Seite oder ihrem ersten Kapitel bewerten soll. Wie immer die Antwort auch ausfallen mag, eines ist klar: Die Sendung, die Maybrit Illner am Donnerstag ihren Zuschauern kredenzte, sollte nicht nach der ersten Fragerunde bewertet werden.

Ein Beginn zum Abschalten

Das schon in den Tagesthemen von Caren Miosga angepriesene Gästepaar erwies sich da nämlich als ziemlich dröge und langweilig. Erstmals seit Beginn der Koalitionsverhandlungen saßen sich Annalena Baerbock und Christian Lindner im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gegenüber. Die Grünen-Chefin und ihr FDP-Pendant überboten sich mit Worthülsen, und auch der CDU-Vielleicht-Neu-Vorsitzende Norbert Röttgen, die Journalistin Christiane Hoffmann und der Politikwissenschaftler Herfried Münkler boten nicht gerade besonders Aufregendes. Stereotype über laufende Prozesse auf der potenziellen, neuen Regierungsseite und schmerzhafte Niederlagen im Lager der mutmaßlich neuen Opposition. Zum Abschalten. Doch wer das Knöpfchen gedrückt haben sollte am Fernseher, der hat dann doch etwas verpasst.

Ende der eigenen Träume

Drei Erkenntnisse machen sich breit, mindestens, und die haben es in sich. Die erste davon betrifft das Thema Finanzen. Annalena Baerbock schien sich ziemlich klar von dem einstigen Parteiwunsch verabschiedet zu haben, untere Einkommensbereiche zu entlasten. Der Grund liegt darin, weil es im oberen Bereich nicht zu den erwünschten Steuererhöhungen kommt. Die Ansage, dass es für Investitionen möglich sein werde Schulden im Rahmen der Schuldenbremse aufzunehmen übersetzte die Moderatorin so: 2022, wenn die Schuldenbremse wegen Corona noch ausgesetzt ist, wird massiv Kredit gescheffelt, und danach jedes Jahr 50 Milliarden hinzu gepackt.

Fehlerhafte Übersetzung

Christian Lindner wollte dem so zwar nicht zustimmen, „ich habe Frau Baerbock anders verstanden als in ihrer Übersetzung“ – aber auch wenn der FDP-Chef den Versuch unternahm, wortreich finanzpolitischen Sachverstand zu verbreiten, blieb die Erkenntnis von der Journalistin Christiane Hoffmann: „Sie schließen Klima-Schulden an Stelle von Corona-Schulden nicht explizit aus.“

Selten klare Worte

Wer Ohren hat zu hören, der bekam zudem in bisher noch selten so geäußerter Klarheit auch gesagt, wie künftiges Schulden machen funktionieren wird: über Institutionen wie die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Von „spannenden Lösungen“ spricht Lindner, Baerbock nickte. Norbert Röttgen warnte vor „undemokratischen Nebenhaushalten“, und damit sind dann zwar alle irgendwie einverstanden. Aber letztlich ist die zumutbare Grenze eine Frage der Definition und der politischen Gestaltungsmöglichkeiten.

Röttgen macht es nur noch Schlimmer

Für das Thema Klimakrise blieb schon nicht mehr ganz so viel Sendezeit. Annalena Baerbock sollte sich der Kritik erwehren, die aus der eigenen Reihen kommt. Sowohl die grüne Jugend als auch Klimaaktivisten sind alles andere als angetan vom bisher Bekannten aus den Sondierungen – und so wirklich gelang es der Co-Chefin auch nicht, zu erklären, welcher große Wurf den Grünen hier gelungen sein soll. Dass sich nun ausgerechnet Norbert Röttgen zurücklehnen konnte um zu dozieren, machte die Sache für Baerbock nicht besser. „Was Sie auf ihrem Gebiet erreicht haben, ist nicht das Gleiche, was Christian Lindner auf seinem Gebiet erreicht hat.“ Röttgens Analyse fand Zustimmung bei Christiane Hoffmann.

Erkenntnis Nummer zwei lautet also: Bei ihrem Kernthema müssen die Grünen noch zulegen. Nun ist es ja zustimmungswürdig, wenn Annalena Baerbock sagt, dass einen die Einteilung in Gewinner und Verlierer der Verhandlungen nicht weiterbringe. Doch wenn sich in einer Koalition der Pfad zum 1,5-Grad-Ziel nicht klarer beschreiten lässt, dann müssen die Grünen an ihrer Kommunikation nach Innen arbeiten. Da kommt noch etwas auf die Partei zu.

Keiner denkt an den Kanzler

Die Erkenntnis Nummer drei folgt zu einer Zeit, als die Studiouhr die letzte Sendeminute anzeigt: Ja wo, bitteschön, ist denn der Kanzler? Die SPD, und das ist ja immerhin der größte der drei Koalitionspartner, war nicht dabei an diesem Abend. Nicht am Tisch, und irgendwie auch nicht in den Gedanken der Beteiligten. Das zeige, sagte Politikwissenschaftler Herfried Münkler, wie es wohl weiter gehe mit diesem Land. Zwei kleine haben zusammen keine Lust, dass sich der Große zu sehr profiliere. Da denkt man unwillkürlich an einen anderen Großen, einen Kaiser. Dessen Lieblingsspruch: „Schaun mer mal“

ext Text Text Text Text Text Text Text Text]