Die deutsche Sängerin Ute Lemper lebt seit 1998 in den USA. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt/C. Schmidt

In der ZDF-Talkrunde von Maybrit Illner punkten zwei zugeschaltete Gäste aus den USA. Die Studio-Runde in Mainz aber war blass, und die Moderatorin blieb ganz allein mit ihrem Optimismus in Sachen Corona.

Stuttgart - Normalerweise gehören zugeschaltete Gäste bei Talkrunden eher zum Beiwerk, bei Maybrit Illner am Donnerstagabend im ZDF stahlen sie allen anderen die Show. Liege Donald Trump vielleicht sogar richtig mit seinem Appell, sich vor Corona nicht zu fürchten, hatte die Moderatorin gefragt. Schließlich steigen auch in Deutschland die Infektionszahlen, die schweren Verläufe aber schlagen zahlenmäßig noch nicht stark zu Buche. Zunächst zerpflückte der ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen die Selbstdarstellung von Donald Trump.

Wie der sich inszeniere anhand von Falschinformationen, wie er seine Krankheit gar als Jungbrunnen darstelle, „das erinnert mich an einen Todeskult“, sagte Theveßen – ein bisher ungehörter, drastischer Vergleich – eindrucksvoll. Im übrigen, so der Korrespondent, sei der US-Präsident mit der Corona-Darstellung wohl zum zweiten mal „falsch abgebogen“: Dass Trump Corona zum Wahlkampf missbrauche, dass sei eine Verhöhnung der Opfer des Virus in den USA und die jüngsten Umfragen belegten, dass es von den meisten Amerikanern so gesehen und nicht honoriert werde.

Ute Lemper kritisiert Trump heftig

Den zweiten großen Aufschlag machte die deutsche Sängerin Ute Lemper – seit Jahren ein Star am Broadway – die von einer Dachterrasse in New York unter blauem Himmel die düstere Lage in der Stadt schilderte, aber zunächst mal grenzwertige Breitseiten gegen Trump abfeuerte: „Ich hätte ihm fast gewünscht, dass er mal ordentlich krank wird.“ Die Fehlinformationen des US-Präsidenten seien gefährlich und verantwortungslos gewesen – und wer es sich denn leisten könne, 50 000 Dollar für eine Covid-19-Behandlung zu bezahlen, fragte Ute Lemper. „Und da protzt Trump damit, er sei angeblich geheilt.“

Die Sterberate in Deutschland gilt als niedrig

New York sei gut durch den Sommer gekommen, berichtete die Sängerin. Selbst Jogger trügen Masken, die Infektionszahlen seien gesunken. Aber jetzt stiegen sie wieder, Tausende von Restaurants seien geschlossen, Jobs gingen verloren, Läden gingen Pleite, die Ärmeren, die ihren monatlichen Pay-Check dringend brauchten, die seien am härtesten getroffen. Ihre Kinder, sagt Ute Lemper, hätten nur noch zweimal in der Woche Schule. Ob sie an eine Rückkehr nach Deutschland denke, fragte Maybrit Illner: „Ich denke ständig darüber nach“, antwortete Ute Lemper. Sie sei gerne in New York, es sei eine multinationale Stadt mit einer offenen Kultur, „die sind in vielem weiter als in Europa“. Aber Amerikanerin sei sie ja noch nicht.

Doch ist eine Rückkehr nach Deutschland überhaupt empfehlenswert? Sicher ist unser Land auch nicht. Die Studiogäste in Mainz – Politiker, Ärzte sowie ein Philosoph – wollten der Moderatorin Illner in ihrer geäußerten Zuversicht jedenfalls nicht folgen. Die wies auf die relativ wenigen tödlichen Verläufe der Corona-Erkrankung hin, die Sterberate nach einer Erkrankung liege zwischen 0,1 und 0,4 Prozent, nur 293 Intensivpatienten müssten in Deutschland beatmet werden. All das führte Maybrit Illner zu ihrer Leitfrage: Ob es nicht Gründe gebe, optimistisch zu sein?

Jüngere könnten die Älteren anstecken

Ja, natürlich gebe es Erfolge bei den Therapien, und es gebe die Hoffnung auf einen Impfstoff im Frühjahr 2021, so die Genfer Virologin Isabella Eckerle: „Aber der Virus ist überall in der Gesellschaft.“ Und die Jüngeren – jetzt stark betroffen – könnten die Älteren anstecken. Man müsse jetzt die künftige Entwicklung antizipieren und Neuinfektionen vermeiden: „Sonst kommen wir an den Punkt, wo wir die Verfolgung von Kontakten nicht mehr nachverfolgen können und die Labore überlastet werden.“

Die Politiker, Malu Dreyer, SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sowie der Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), im ursprünglichen Beruf Arzt, beschworen das „entschiedene Handeln“ von Bundes- und Landesregierungen, und sie appellierten an die Regionen mit einer Inzidenz von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner, rasch zu einzugreifen: „Der Kreis Gütersloh hat es auch geschafft. Die Regionen tragen Verantwortung“, so Helge Braun. Dass im Kreis Gütersloh der Virus-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies die Infektionszahlen in die Höhe getrieben hatte, ein punktuelles Ereignis, dass vielleicht leichter in den Griff zu kriegen ist als ein diffuses Infektionsgeschehen, das erwähnte in der Talkrunde allerdings niemand.

Ein Amtsarzt empfindet die Corona-App als großen Flopp

Es oblag dem Leiter des Gesundheitsamtes von Berlin-Reinickendorf, Patrick Larscheid, einige für die Politik unbequeme Wahrheiten von der Basis auszusprechen: So sei die freiwillige Corona-Warn-App „vollkommen bedeutungslos“. „Die macht zwar Datenschützer glücklich, aber sie liefert uns keine Daten“, sagte Amtsarzt Larscheid. Zum zweiten habe er großes Unverständnis über die Debatte um Reiseverbote für Bewohner aus Risikogebieten: „Das Leben der Menschen spielt sich doch nicht an der eigenen Meldeadresse ab.“

Eine Lösung für die Probleme hatte immerhin Julian Nida-Rümelin, Philosophie-Professor und ehemaliger Kulturstaatssekretärin anzudeuten: „Warum haben wir keine Tracking-App“, fragte Nida-Rümelin. Eine solche App gibt es in Südkorea, sie erstellt Bewegungsprofile. Nida-Rümelin hat jüngere Kinder, offenbar auch im Teenageralter, und er fragt sich, wie deren Leben in den nächsten Jahren eigentlich aussehen wird, wenn ein zweiter Lockdown droht: „Werden die jemals knutschen dürfen“, so fragte Nida-Rümelin. Falls die Sache mit der Impfung im nächsten Jahr scheitere, so der Philosoph, müsse „eine zweite Strategie“ her. Wie die aussehen könnte, ist bei Maybrit Illner dann allerdings offen geblieben.