Hält die Kickers-Fahne hoch: Der neue Geschäftsführer Matthias Becher. Foto: Baumann

Matthias Becher feierte als Hockey-Trainer Erfolge, sammelte in Hoffenheim Erfahrung in der Fußballbranche, nun will er die Stuttgarter Kickers als Geschäftsführer nach vorne bringen. Im Interview spricht er über seinen Werdegang und seine Ziele.

Stuttgart - Er holte 2016 in Rio als Co-Trainer Olympia-Bronze mit der Hockey-Nationalmannschaft, teilte in Hoffenheim ein Büro mit Julian Nagelsmann und sagt mit Blick auf seine eigene Karriere: „Ich hatte noch nie Lust auf Kompromisse und Dienst nach Vorschrift ist nichts für mich.“ Matthias Becher, der Geschäftsführer des Fußball-Oberligisten Stuttgarter Kickers, gibt vor dem Heimspiel am Samstag (18 Uhr) gegen den 1. CfR Pforzheim Einblicke in sein (Sportler)-Leben.

Herr Becher, Sie kommen aus dem Hockeysport. Wie sieht es eigentlich mit ihren eigenen Fußballkünsten aus?

(lacht) Ich war ja auch als Hockeyspieler nicht auf dem Weg zum Nationalspieler und habe bereits mit 18 Jahren aufgehört, und die Trainerlaufbahn, die ich schon mit 16 begonnen hatte, forciert. Ich hatte noch nie Lust auf Kompromisse. Fußball habe ich immer nur hobbymäßig gespielt. Inzwischen halte ich mich mit Golfspielen und Rennradfahren fit.

Die Zeit bleibt Ihnen?

Derzeit eher weniger. Wenn man eine neue Arbeitsstelle antritt, gibt es zu Beginn viel Neues kennenzulernen. Das ist völlig normal. Ich bin aber von hoch motivierten Mitstreitern hier bei den Kickers sehr herzlich aufgenommen worden. Jeder macht es mir leicht.

Dem Oberligateam fehlt auswärts bisher noch die Souveränität. Wie beurteilen Sie den Start?

Also die sportlichen Dinge beurteilen der Sportliche Leiter und der Trainer. Da sind wir sehr gut aufgestellt. Ich kann mich ruhigen Gewissens auf die beiden verlassen und mich auf die wirtschaftlichen Themen konzentrieren.

Wie kommt man eigentlich darauf, als Trainer an der nationalen Hockeyspitze zu einem Fußball-Fünftligisten zu wechseln?

Dass ich die Hockey-Branche eines Tages verlassen werde, war mir früh klar. Ich habe einen Master-Abschluss in Sportmanagement und einen Bachelor-Abschluss in BWL. Das dabei gewonnene Wissen wollte ich zwingend in meine berufliche Tätigkeit einfließen lassen. Die Stuttgarter Kickers haben eine bundesweite Strahlkraft, da musste ich nicht lange überlegen.

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Bleiben wir noch beim Hockey. Was waren Ihre größten Erfolge?

Ich habe als Co-Trainer mit der U21 die Junioren-Weltmeisterschaft gewonnen, als Co-Trainer der A-Nationalmannschaft durfte ich in Rio den Gewinn der olympischen Bronzemedaille mitfeiern, und mit meinem Heimatclub Mannheimer HC wurden wir 2017 deutscher Meister. Aber Erfolge lassen sich für mich nicht nur an Ergebnisse festmachen.

Sondern?

Für mich sind drei „E“ entscheidend. Neben Ergebnissen eben auch Emotionen und Entwicklung. Ohne Leidenschaft kannst du im Sport nichts bewegen, und einen Verein und sein Umfeld weiterzuentwickeln ist doch mindestens genauso wichtig, wie das Ergebnis, das man auf der grünen Wiese erzielt.

In ihrer Tätigkeit als Hockeytrainer legten Sie also auf mehr Wert als nur das nackte Resultat?

In meiner Abschlussarbeit habe ich mich mit dem Thema Wissenstransfer und Wissensmanagement beschäftigt. Theorie und Praxis ließen sich somit toll verknüpfen. Das Know how, das ein Verband oder ein Verein hat, ist das höchste Gut. Man muss also die Strukturen, Mechanismen und Automatismen schaffen, damit dieses Wissen im Verband oder Verein bleibt – auch wenn sich eine Schlüsselperson verabschiedet.

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Wie schafft man das konkret?

Im Hockey haben wir die Voraussetzungen dafür zum Beispiel durch regelmäßige Bundestrainer-Klausurtagungen geschaffen. Das war gewissermaßen ein beispielhaftes Tool von vielen, um Wissen weiterzugeben.

Bei den Stuttgarter Kickers…

…ist der Wissensaustausch, die Kommunikation untereinander ebenfalls besonders wichtig, da es viele Ehrenamtliche gibt, die genauso wie die Präsidiumsmitglieder nicht in Vollzeit auf der Geschäftsstelle präsent sind. Alle sollten in den relevanten Themen auf dem Laufenden gehalten werden – und das eben nicht nur durch Präsenz im E-Mail-Verteiler.

Die Hockey-Ikonen Bernhard Peters und Markus Weise zog es zum Fußball. Sind Hockey-Menschen eigentlich besonders schlau oder woran liegt es, dass sie bei „König Fußball“ so gefragt sind?

Nein, sie sind nicht schlauer. Vieles hat mit den Rahmenbedingungen zu tun. In einer Randsportart wie Hockey lassen sich viele Dinge einfach leichter ausprobieren. Es wird nicht alles gleich hinterfragt, man steht medial nicht im Fokus. Viele Erfahrungswerte lassen sich auf den Fußball übertragen. Gleichzeitig können kleinere Sportarten auch sehr viel vom Fußball lernen. Dort gibt es auf allen Ebenen wiederum viel, viel mehr Möglichkeiten, was die sportaffinen Menschen, die aus dem Hockeybereich kommen, sehr reizt.

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Wie eng ist Ihr Kontakt zu Peters und Weise, und was machen die beiden aktuell?

Zu Markus Weise habe ich einen engen Kontakt, er war sogar mein offizieller Mentor, und mit ihm habe ich mich auch vor dem Einstieg in den Fußball intensiv ausgetauscht. Er ist vom Deutschen Fußballbund zum Hockey zurückgekehrt und leitet seit einem Jahr den Bundesstützpunkt in Hamburg. Bernhard Peters ist nach seiner Tätigkeit bei 1899 Hoffenheim und dem Hamburger SV im Fußballbereich geblieben, allerdings in der IT-Sparte.

Worum geht es da?

Ganz grob geht es um die Entwicklung von Trainern und Spielern. Zum Beispiel auch um die Frage: Wie kann ich die modernen Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz und Robotern nutzen um im täglichen Training besser zu werden.

Peters kennen Sie auch aus Ihrer gemeinsamen Zeit bei der TSG 1899 Hoffenheim. Was haben Sie dort drei Jahre lang gemacht?

Ich habe mich um die Einführung einer Software zum Thema Videoanalyse gekümmert. Der Bezug zur Praxis war mir aber schon immer sehr wichtig. Deshalb war ich auch ein halbes Jahr als Co-Trainer der U17 unter Chefcoach Jens Rasijewski tätig. Auch zum damaligen Nachwuchscoach Marcel Rapp, dem ehemaligen Kickers-Profi, habe ich noch engen Kontakt. Mit dem damaligen U-19-Trainer Julian Nagelsmann haben wir das Büro geteilt.

Er ist in der Champions League angekommen. Was sind Ihre Ziele?

Champions League wäre nicht schlecht (lacht). Nein, im Ernst. Ich habe mich ganz bewusst für die Aufgabe bei den Stuttgarter Kickers entschieden. Ich hätte auch in den Bereich Unternehmensberatung gehen können, doch ich wollte den wirtschaftlichen und den sportlichen Bereich verknüpfen. Die Blauen sind nicht nur ein Geschäftsmodell, sie verkörpern Tradition, Herz und Leidenschaft. Dienst nach Vorschrift wäre nichts für mich. Es muss Leidenschaft dahinter stecken.

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In Leidenschaft steckt auch Leiden. Wie lange können die Kickers mit nur 500 Zuschauern pro Heimspiel überleben?

Die Unterstützung der Fans und Partner ist in diesem Kontext für die Kickers unglaublich wichtig und ein zentraler Baustein, dass wir auch in der Oberliga solch gute sportliche Rahmenbedingungen bieten können. Und natürlich wäre es uns lieber, wenn wieder 3000 Leute uns im Stadion direkt anfeuern und gerne ihre Tickets dafür zahlen. Aber die Zuschauereinnahmen sind nicht der einzige Baustein der Finanzierung. Die Vereinsführung hat mit viel Akribie frühzeitig die Weichen gestellt, dass der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Wir haben es noch nicht überstanden, gleichzeitig bin ich bin frohen Mutes, bei dieser starken Gemeinschaft die kommenden Hürden meistern zu können.

Und wie geht’s aus am Samstag gegen den 1. CfR Pforzheim?

Ich bin guter Hoffnung, dass die Mannschaft an die guten Heimauftritte im Pokal und in der Liga anknüpft. Und dann wird es auch zu den drei Punkten reichen.