Markus Lanz ließ über die Ukraine diskutieren – und ein bisschen über Corona, Foto: dpa/Markus Hertrich

Soll Deutschland den Gashahn zu Russland abdrehen? Bei Markus Lanz warnt Hamburgs SPD-Bürgermeister Tschentscher: Mit kalten Wohnstuben bei uns ist keinem gedient.

Wenn ein Virologe in einer Talkrunde fast eine Stunde warten muss, bis er etwas sagen darf, dann haben sich die Krisen wirklich verschoben. Von Corona zum Krieg. Der Ukraine-Krieg und die Frage, ob man gegen Kremlherrscher Putin die Gangart verschärfen und ob Deutschland von sich aus den Gas- und Ölhahn zudrehen sollte, das war das Hauptthema bei Markus Lanz am Dienstagabend. Um es gleich vorwegzusagen, die Antwort war so schwer, dass Mitdiskutanten wie die TAZ-Journalistin Anna Lehmann einräumten, sie sei froh, „dass ich das nicht entscheiden muss“, und selbst der sonst so meinungsstarke Moderator Lanz bekannte: „Ich möchte nicht in der Haut unseres Wirtschaftsministers stecken.“

Ein gewaltiger Blutzoll für die Russen in der Ukraine

Zuvor aber hatte die Osteuropaexpertin Margarete Klein (Stiftung Wissenschaft und Politik) passend zu Videoeinspielungen vom Kriegsgeschehen nochmals die „Brutalität“ der zum Teil tschetschenische Kämpfer einsetzenden russischen Kriegsführung geschildert. Die Angriffe auf zivile Ziele dienten dazu, in der Ukraine „Schrecken zu verbreiten“. Es sei ganz klar eine psychologische und auch zynische Kriegsführung. Interessant waren Kleins Hinweise auf in den russischen Medien kurzzeitig verbreitete Opferzahlen, wonach es 10.000 russische Gefallene und 16.000 russische Verwundete in der Ukraine gegeben haben soll – das wäre ein gewaltiger Blutzoll, angesichts der 14.000 russischen Gefallen im gut neun Jahren währenden Einsatz sowjetischer Truppen in Afghanistan.

Wo steckt Putins Jagdfreund?

Und auch eine zweite Bemerkung ließ aufhorchen, es sei „sehr ungewöhnlich“, so Margarete Klein, dass Russlands Verteidigungsminister und Jagdfreund Sergej Schoigu seit zwei Wochen nicht öffentlich aufgetreten sei. Der verfüge über eine eigene Popularität, die er als einstiger Katastrophenreferent im Einsatz gegen Überflutungen und Waldbrände gewonnen habe und er habe ein gutes Standing in den Streitkräften. Ist dies ein Hinweis, dass es hinter den Kremlmauern ein Schwarze-Peter-Spiel in der Frage gibt, wer für das offensichtliche Scheitern der Offensive in der Ukraine verantwortlich ist? Von der hohen Gefährlichkeit Putins ist Margarete Klein jedenfalls zutiefst überzeugt: Der ziele nicht nur auf die Ukraine, er wolle die europäische Sicherheitsordnung zerstören.

Ein Eindruck vom eigennützigen Denken

Wie aber nun dem Diktator weitere Grenzen setzen? Die Ukraine verlangt einen Stopp der westlichen Gas- und Ölimporte aus Russland und zumindest die Journalistin Anna Lehmann zeigte da Verständnis: In der deutschen Debatte gehe es immer um die Frage, was solch ein Importstopp „für uns bedeutet“, so Lehmann, weniger darum, was es für die Ukraine ausmache. „Es entsteht der Eindruck, wir kümmern uns mehr um unsere soziale Sicherheit als um Sicherheit der Ukrainer.“

Not und Elend bei uns hilft keinem

Vor allem von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der in Sprachduktus und seiner nordischen Sachlichkeit ein Zwillingsbruder seines Vorgängers Olaf Scholz sein könnte, kam da heftige Widerrede. Man habe ein gutes und konsequentes Sanktionsregime, ein Energieimportestopp werde dem Westen aber mehr schaden als Russland. „Das wird uns erhebliche Einbußen bringen. Und es ist niemand damit geholfen, wenn wir mit einer solchen Maßnahme Not und Elend in Deutschland auslösen“, so Tschentscher.

Gezielte Sanktionen sind gut

Auch wenn man hierzulande im nächsten Winter in kalten Wohnstuben sitze, sei damit keinem gedient. Tschentscher machte eine andere Rechnung auf und berief sich dabei auf die Argumentation von Kanzler Scholz: Die Devisen, die Russland jetzt aus dem Öl- und Gasgeschäft noch erhalte, könne es dank der Liefersanktionen ohnehin nicht nutzen. Es müsse jetzt rasch um eine Diversifizierung der Energielieferungen gehen und Wirtschaftsminister Habeck sei da ja schon „energisch unterwegs“. Auch das von Lehmann ins Gespräch gebrachte Tempolimit und autofreie Sonntage – „wir müssen die Leute auf Verzicht einschwören“ – stieß auf Ablehnung des Hanseaten Tschentscher: „Ein Tempolimit bei uns wird Putin nicht beeindrucken.“ Gezielte Sanktionen aber vielleicht schon, meinte Margarete Klein. Es sei wichtig, dass die Technologie für die Förderung von Öl- und Gasvorkommen nicht geliefert werde – denn mit der versuche Russland „neue Einnahmen“ beispielsweise aus Lieferungen nach China zu erzeugen.

Das Gesetz sei „Murks“, sagt die Journalistin

Für Corona war dann nicht mehr viel Zeit. Hamburgs Bürgermeister, der auch Arzt ist, musste die Novelle des Infektionsschutzgesetzes gegen Kritik – man habe den Ländern alle Instrumente geraubt und es sei „Murks“ (Anna Lehmann)– verteidigen. Das Gesetz sei zwar etwas umständlich, so Tschentscher, aber es gebe einen Weg auch milde aber sehr wirksame Maßnahmen wie die Maskenpflicht wieder einzuführen, wenn die Überlastung des Gesundheitssystems drohe. Die Bürgerschaft in Hamburg werde dies vermutlich am Mittwoch beschließen.

Abwarten mit der vierten Impfung

Der Virologe Hendrick Streeck bemängelte am Gesetz, dass es keine klaren Grenzwerte nenne, wann denn nun eine Überlastung des Gesundheitssystems eintrete. Wie viele Menschen „mit“ oder „wegen“ Corona in den Krankenhäusern sollten es denn sein, wenn die Überlastung drohe? Man werde jetzt in den Sommermonaten eine Entspannung im Infektionsgeschehen sehen, meinte Streeck, aber spätestens im Herbst oder Winter brauche man „ein gutes Gesetz“. Ob Dinge wie das Maskentragen nun als Pflicht beschlossen oder der Eigenverantwortung der Menschen überlassen werden, das müssten Bürger und Politiker entscheiden. Keine Maskenpflicht zu haben bedeute ja nicht, dass es ein Maskenverbot gebe. Was eine vierte Impfung für über 60-Jährige anbelangt, so könnte sich Streeck vorstellen, dass dies im Herbst oder Winter angezeigt sei, wenn das Infektionsgeschehen wieder anziehe. Eine Empfehlung aber müsse die Ständige Impfkommission aussprechen.