Nach zwei Jahren Pandemie ist das Fernweh groß. Doch der Reisesommer beginnt mit Stress an den Flughäfen. Auch in Stuttgart fallen einige Verbindungen aus.
Am Flughafen Düsseldorf herrscht schon seit Tagen Chaos, und auch in Stuttgart fielen am Mittwoch mehrere Flüge aus. Grund für die aktuellen Probleme sind Personalengpässe bei der Lufthansa-Tochter Eurowings. Die Fluggesellschaft verwies auf den jüngsten Anstieg der Coronazahlen, der auch bei Eurowings zu kurzfristigen Krankmeldungen geführt habe. „Die überraschenden Abmeldungen überstiegen für kurze Zeit unsere vorgehaltenen Reserven, weshalb wir einige Flüge bedauerlicherweise nicht durchführen konnten.“
Doch nicht nur bei Eurowings gibt es Probleme. Seit Wochen häufen sich die schlechten Nachrichten für Reisende: Anfang Juni führte ein Warnstreik von Flugbegleitern der Billig-Airline Easyjet in Berlin zu Ausfällen. In Brüssel wurden am Montag wegen eines Streiks gleich alle Passagierflüge gestrichen. Für die kommenden Wochen sind Mitarbeiter von Easyjet und Ryanair in den Urlaubsländern Portugal, Frankreich, Spanien und Italien zu Streiks aufgerufen.
Verdi fordert mehr Geld fürs Bodenpersonal
Auch in Deutschland sind neuerliche Arbeitskämpfe nicht auszuschließen. Ende Juni beginnen die Tarifverhandlungen für das Bodenpersonal der Lufthansa. Die Gewerkschaft Verdi forderte für die rund 20 000 Beschäftigten am Mittwoch eine Gehaltserhöhung von 9,5 Prozent, mindestens aber 350 Euro. In den niedrigsten Entgeltgruppen lägen die Gehälter derzeit bei rund 2000 Euro, sagte Gewerkschaftssekretär Sven Bergelin unserer Zeitung.
Verdi begründete die Lohnforderung mit der hohen Inflationsrate und der starken Belastung der Beschäftigten. Während der Coronapandemie sei zu viel Personal abgebaut worden, sagte Bergelin – entsprechend hoch sei jetzt der Krankenstand bei den verbleibenden Kollegen.
Die Coronakrise war ein Aderlass für die Luftfahrtbranche
Bundesweit sei die Zahl der Beschäftigten in der Luftfahrtbranche seit 2019 um vier Prozent oder 7200 Personen gesunken, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Viele davon hätten sich einen neuen Arbeitsplatz gesucht: „Für eine Normalisierung des Flugverkehrs auf Vorkrisenniveaus fehlen aktuell schlicht die personellen Kapazitäten“, schreibt das Autorenduo Alexander Burstedde und Filiz Koneberg.
Einige Fluggesellschaften haben deshalb ihre Flugpläne für den Sommer zusammengestrichen: Die Lufthansa nahm allein für Juli 900 Verbindungen aus dem Programm. Easyjet will europaweit sogar Tausende von Flügen streichen. Die britische Airline muss ihren Flugplan schon deshalb eindampfen, weil der Londoner Flughafen Gatwick angekündigt hat, im Juli und August maximal 850 Flüge täglich abzuwickeln. Vor der Coronapandemie waren es rund 900 pro Tag.
Gewerkschaften sprechen von „Chaos mit Ansage“
Der Flughafen reagiert damit auf Personalnöte in den eigenen Reihen. Die Betankung von Flugzeugen, die Gepäckabfertigung und zum Teil auch der Check-in werden oft von den Flughafenbetreibern oder deren Subunternehmen vorgenommen. Die Auslagerung dieser Aufgaben an externe Dienstleister hat nach Auffassung von Verdi zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten geführt, was die aktuellen Probleme noch verschärfe: „Am Hauptstadtflughafen BER müssen 13 verschiedene Betriebe und Organisationen zusammenarbeiten, damit ein Flugzeug abhebt“, sagte Gewerkschaftssekretär Bergelin. „Was wir jetzt erleben, ist ein Chaos mit Ansage.“ Um die Personallücken zu füllen, bedürfe es branchenweit einer besseren Entlohnung.
Der Arbeitgeberverband der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr (ABL) verhandelt mit Verdi bereits über einen Branchentarifvertrag. Kurzfristig will er aber Mitarbeiter aus dem Ausland holen. In der Türkei stünden bereits 2000 Arbeitnehmer mit Deutschkenntnissen und den notwendigen Unterlagen in den Startlöchern, sagte der ABL-Vorsitzende Thomas Richter unserer Zeitung. Der ABL versucht derzeit mit der Bundesregierung zu klären, wie die Erteilung von Arbeitserlaubnissen an diese Gruppe beschleunigt werden kann.
Arbeitgeber dringen auf vereinfachte Zuverlässigkeitsprüfung
Daneben setzt sich der Verband für eine Vereinfachung der Zuverlässigkeitsprüfung ein, die jeder an einem Flughafen beschäftigte Arbeitnehmer durchlaufen muss. Kritik der Gewerkschaften, damit würden Sicherheitsstandards gelockert, wies Richter zurück. An der Vorschrift, ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen, wolle man nicht rütteln, sagte er. Dass für die Zuverlässigkeitsprüfung in Deutschland ein Nachweis über alle Wohnorte der zurückliegenden zehn Jahre erforderlich ist, während sich andere EU-Staaten mit fünf Jahren zufriedengeben, sei aber übertrieben.