Der kleine Ludwig spielt – und im Comic „Goldjunge“ steigen dabei die Farbwolken aus dem Klavier. Foto: Avant-Verlag/Mikaël Ross

Lange bevor Beethoven die Neunte komponierte, klaute er Eier, machte ins Bett und ärgerte Nachbarskinder. Das alles hat ein Bonner Spielgefährte der Nachwelt überliefert – und auch ein großartiger Comic erzählt nun vom kleinen Ludwig.

Bonn - Daheim gibt es Prügel. Drill und jede Menge Entmutigungen von einem trunksüchtigen Vater, der mit dem Talent seines „Goldjungen“ Kasse machen will, der dieses Talent aber gar nicht richtig begreift. Draußen beim Spielen auf der Straße setzt es dafür Hohn und Dresche von älteren Jungs, die den Steppke, der schon als Siebenjähriger musikalische Auftritte absolviert, für einen Schnösel halten, der dringend auf ihr Niveau herabgezogen werden muss. Das Leben des kleinen Ludwig van Beethoven ist kein Zuckerschlecken, das vermittelt eindringlich die Graphic Novel „Goldjunge – Beethovens Jugendjahre“ (Avant-Verlag, 194 Seiten, 25 Euro) von Mikaël Ross, eine der schönsten Überraschungen im Jubiläumstrubel um den großen Komponisten.

Der 1984 geborene Ross, der schon zweimal den in der Comic-Welt hoch angesehenen Max-und-Moritz-Preis gewonnen hat, pfeift in seinen inspiriert frechen Bildern auf alles Weihevolle. Er vermittelt auf doch immer lustige Weise die Unruhe, Panik und den Schmerz eines Lebens, in dem große Entfaltungsmöglichkeiten und ewiger Nachruhm zunächst kaum vorstellbar waren. Die Beethovens lernen wir als kleine Leute kennen, denen es gerade noch so gut geht, dass sie den ständig drohenden Absturz bitter fürchten. Absicherungen gibt es hier keine, aber doch genug Komfort, dass man kein bisschen gerüstet wäre für ein Leben in der Gosse.

Auf frischer Tat ertappt

All das hat sich Ross nicht schöner Zuspitzung wegen aus den Fingern saugen müssen. Er hat gar nicht alles in die Graphic Novel aufnehmen können, was man Menschliches über den kleinen Ludwig weiß, aus den „Aufzeichnungen über Beethovens Jugend“ nämlich, die zwischen 1837 und 1857 vom Bonner Bäckermeister Gottfried Fischer (1780-1864) mithilfe seiner älteren Schwester Cäcilia verfasst wurden. Da findet man etwa eine Anekdote, die irgendwann in den 1770er Jahren spielt. Ein Bonner Hinterhof mit Hühnerstall, darin Ludwig van Beethoven. Davor: die Nachbarin Maria Fischer. Der ist schon seit einiger Zeit aufgefallen, dass ihre Hühner kaum noch Eier legen - dabei werden sie doch gut gefüttert. Nun hat sie den Eierdieb auf frischer Tat ertappt: „Hey du, was machst du da?“ Doch Klein Ludwig ist nicht um eine Ausrede verlegen: „Mein Bruder Casper hat mir mein Taschentuch darein geworfen, das will ich wieder rausholen!“ Daraufhin entfährt Frau Fischer der Stoßseufzer: „Was soll nur mal aus dir werden?“

Gottfried Fischer war zehn Jahre jünger als der vermutlich am 16. Dezember 1770 geborene Beethoven. Das einzige, was über dessen Start ins Leben feststeht, ist sein Taufdatum, der 17. Dezember 1770. So bildet nun der Tag, an dem er einst in die katholische Kirche aufgenommen wurde, den terminlichen Dreh- und Angelpunkt für die Feiern zu seinem 250. Geburtstag.

Luddi und die Hirnfresser

Fischer hatte in seiner Kindheit viel Zeit mit ihm verbracht, weil die beiden Familien im selben Haus wohnten. Die Beethovens waren Mieter der Fischers. Lange wurde die Handschrift von der Fachwelt belächelt, doch 2006 konnte Margot Wetzstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bonner Beethoven-Haus, nachweisen, dass die Schilderung überraschend zuverlässig ist. Für die Glaubwürdigkeit spricht auch, dass Beethoven in dem Text keineswegs idealisiert wird.

Gottfried Fischer beschreibt nicht das Musikgenie aus Wiener Tagen, sondern einen ganz normalen Jungen aus dem Provinznest Bonn – und der konnte manchmal ziemlich nerven. „Die drei Beethoven-Jungen hörten nicht auf, mich zu ärgern, und so lief ich ihnen oft nach und schlug nach ihnen“, erinnerte sich Gottfried. Umgekehrt nannte seine Schwester Cäcilia den kleinen Ludwig einen „Notenfresser“, weil er sich am liebsten der Musik widmete. Beethovens Brüder spielen auch in Ross’ Graphic Novel eine prominente Rolle. „Hirnfresser“, schimpft der Luddi Genannte die beiden anderen.

Verstöße gegen die Hausordnung

Als Beethoven noch klein war, spielte er oft im Sand oder schaukelte, weiß Fischer. „Ludwig van Beethoven liebte es vor allem, wenn man ihn Huckepack nahm und durch die Gegend trug, da konnte er oftmals nicht mehr vor lauter Lachen.“ Die Mägde wurden mitunter als Babysitterinnen eingesetzt, denen die Kinder manchmal beinahe hinaus auf die stark befahrene Straße entwischten. „Oft kam es vor, dass durch die Kinder oder die Mägde der Familie van Beethoven ein solcher Krach und eine so große Unruhe im Haus der Familie Fischer entstand, dass sich der Hauseigentümer Theodor Fischer genötigt sah, Madame van Beethoven sehr deutlich über die Hausordnung aufzuklären.“ Mit der gebotenen Diskretion berichtet Gottfried Fischer sogar über zeitweiliges Bettnässen Ludwigs. Mutter Beethoven sei die Sache ziemlich peinlich gewesen, aber schließlich habe sie von den Fischers einen „gut Rath“ in dieser Sache bekommen, und der habe ihm tatsächlich „gut geholfen“. Worin der Tipp bestand, verrät er der Nachwelt aber leider nicht.

Kurzer Hals und dicker Kopf

Äußerlich machte Beethoven oft einen verwahrlosten und ungepflegten Eindruck. „Du sollst dich was propper halten!“, ermahnte ihn Cäcilia. Darauf Ludwig: „Ist doch egal.“ Sein Aussehen beschreibt Gottfried als „gedrungen, kurzer Hals, dicker Kopf, runde Nase, schwarzbraune Gesichtsfarbe“. Aufgrund seines dunklen Teints wurde er auch öfter „der Spanier“ genannt.

Ludwigs Vater Johann, der im Laufe seines Lebens zum Alkoholiker wurde, absolvierte eine eher enttäuschende Laufbahn als Sänger am Hof des in Bonn residierenden Kölner Kurfürsten. Er ließ seinen Sohn früh Klavier und Geige üben und trat dabei sehr streng auf. Anfangs war Ludwig noch so klein, dass er auf einem Fußbänkchen vor dem Klavier stehen musste. Spielkameraden beobachteten, dass er dabei manchmal weinte.

Farbwolke aus dem Klavier

Der Vater konnte es gar nicht leiden, wenn Ludwig selbst etwas improvisierte. Einmal fragte ihn der Junge: „Aber ist das denn nicht schön?“ Der Vater entgegnete: „Das ist nur etwas aus deinem Kopf. Dafür bist du gar nicht da. Üb' weiter auf dem Klavier und auf der Violine, damit du die Technik gut beherrschst, das bringt dir deutlich mehr!“ Mikael Ross schmückt solche Konfrontationen begnadet aus: Hie der düstere, zerknautschte Vater in einer bedrückend dunklen Bude, der sich eine musikalische Karriere nur im Rahmen sklavischer Reproduktion des bereits bekannten und Beliebten denken kann. Dort der verzweifelte Knirps Luddi, der am Klavier lieber ganz Eigenes, frisch aus ihm Herausströmendes spielt, das als luftige Farbwolke aus dem Instrument aufsteigt und alle zum Träumen und Schweben bringt – nur eben den Vater nicht.

In den Aufzeichnungen des Bäckers Fischer klingt immer auch dessen rheinische Mundart an. So ähnlich muss aber auch Beethoven selbst gesprochen haben, schließlich hat er die ersten 20 Jahre seines Lebens großteils in Bonn verbracht. Von „Würsch“ (Würste) ist da die Rede, von „Naß“ (Nase), „Küßgen“ (Küsschen) und „Musick“ (Musik). Näher als mit diesen Aufzeichnungen und dem Comic kann man dem Menschen Beethoven kaum kommen. (dpa/tkl)