Die Stimme der Runfunkpfarrerin in Rente erreichte ein Millionen-Publikum. Nun schreibt Lucie Panzer Kolumnen – auch gegen ihren eigenen Stand. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Lucie Panzer, die Rundfunkpfarrerin in Rente zürnt Kollegen, die im Gottesdienst die Flutkatastrophe und deren Opfer nicht erwähnen. Stadtdekan Søren Schwesig missbilligt die Kollegenschelte.

Stuttgart - Ihr Wort hat Gewicht. Und als Lucie Panzer noch als Rundfunkpfarrerin mit ihren Impulsen am Morgen im Radio ein Millionenpublikum erreichte, war sie vielen Menschen ein Trost oder Muntermacher im Sinne des Evangeliums. Diese Rolle nimmt sie nun unter anderem als Kolumnistin im „Evangelischen Gemeindeblatt“ ein. Und in dieser Rolle ist die Rundfunkpfarrerin in Rente nun auch sehr streitbar. Sie schwingt unter der Überschrift „So braucht es keine Kirche“ die moralische Keule gegen ihre früheren Kollegen. „Selten war ich nach einem Gottesdienst so ärgerlich wie vor zwei Wochen“, schreibt sie. Denn in diesem Gottesdienst sei mit keinem einzigen Wort vom Hochwasser die Rede gewesen. „Die Predigt handelte von einer Hungerkatastrophe zu biblischen Zeiten, kein Wort über die Opfer der Katastrophe oder die Helfer. Am Ende wurde für die Belange der Kirchenmusik gesammelt. Ich fand das an diesem Tag wirklich daneben.“ Weiter schreibt sie fragend: „Ist es nicht Aufgabe der Kirche, hier und heute zu ermutigen und von Gottes Beistand zu reden: konkret für hier und heute?“ Auch die Antwort gibt sie ihrer Leserschaft: „In der Katastrophenwoche wurde auch berichtet, dass im vergangenen Jahr mehr als 400 000 Menschen aus den beiden großen Kirchen ausgetreten sind. Als Hauptgrund wird genannt, dass Menschen nichts mit dem Glauben anfangen können. Mit dem Glauben? Wohl doch eher nichts mit der Kirche. Wundert einen das bei so einem Gottesdienst? Wenn der Gottesdienst nichts mit dem Leben zu tun hat, braucht ihn keiner.“

Für den Niedergang der Kirche verantwortlich?

Mit den Austrittsgründen ist die Sache jedoch nicht ganz so einfach, wie jüngst eine Umfrage der Evangelischen Landeskirche zeigt. Dabei hat man sich die Mühe gemacht 400 Ausgetretenen hinterherzutelefonieren und nach deren Motiven zu fragen. Ein Ergebnis: Mehr als 60 Prozent jener, die austreten, geben an, Kirche an sich sei für unsere Gesellschaft und für sie persönlich wichtig. Das Hauptmotiv für den Austritt lautete ganz anders: Man wolle keine Kirchensteuer zahlen. Die Kirchensteuer ist und war ein zentrales Argument für den sich beschleunigenden Kirchenaustritt – nicht die Qualität einer Predigt oder eines Gottesdienstes.

So weit so gut. Aber natürlich fragten sich einige Leser der Panzer-Kolumne: Welche Kirche und welche Pfarrer hat sie mit ihrer Kritik gemeint? Lucie Panzer selbst will das Geheimnis nicht lüften. Auf Anfrage teilte sie mit: „Ich werde keinesfalls preisgeben, in welcher Kirche bei welchem Pfarrer/Pfarrerin ich die genannte Erfahrung gemacht habe. Ich möchte keinen Kollegen und keine Kollegin bloßstellen. Fehler passieren, ich bin die letzte, die das nicht wüsste. Deshalb kann von Anschuldigungen auch keine Rede sein. Ich wollte mit meiner Kolumne Kollegen anregen, nachzudenken, ob ihnen Ähnliches auch schon passiert ist. Und klarmachen, was Gottesdienstbesucher zu Recht erwarten.“ Und schließlich sagt sie: „Ich möchte, dass es besser wird in unseren Gottesdiensten, nicht einzelne Pfarrerinnen und Pfarrer an den Pranger stellen.“

Die Pauluskirche ist Panzers Heimatgemeinde

Das ist Lucie Panzer nicht ganz gelungen. Denn in ihrer Heimatgemeinde, der Pauluskirche im Stuttgarter Westen, in der sie auch Kirchengemeinderätin ist, löste die populäre Theologin Betroffenheit aus. Während Pfarrerin Sabine Löw en Detail auflistete, wann und wo der Flutopfer gedacht worden war, ging ihr Kollege Siegfried Finkbeiner sehr souverän mit der möglichen Kritik um: „Es gibt doch keinen Automatismus bei den Fürbitten.“ Tatsächlich haben beide Pfarrer die Flut samt deren Tragödien in zahlreichen Gottesdiensten thematisiert. „Spontan habe ich es gleich zu Beginn ins Gebet aufgenommen“, sagt Sabine Löw und fügt hinzu: „Am 23. Juli haben wir in der Pauluskirche am Läuten teilgenommen, alle Andachten und Impulse dieser Zeit in den einzelnen Gemeindegremien gingen um die Flutkatastrophe. Auch auf unserer Homepage wird zu Spenden aufgerufen.“ Sogar im Krabbelgottesdienst sei die Flutkatastrophe in der Mini-Predigt aufgenommen worden. Was die Pfarrer der Pauluskirche damit sagen wollen: Ein einzelner Gottesdienst taugt nicht, für eine Generalkritik. Und als solche dürften es, so lange Lucie Panzer nicht Ross und Reiter nennt, alle Stuttgarter Pfarrer empfinden.

Stadtdekan Søren Schwesig erreichte die Kunde von der Kollegenschelte in seinem England-Urlaub. Seine Reaktion darauf war zweigeteilt: „Ich habe natürlich die Erwartung, dass Gottesdienste die Aktualität aufgreifen.“ Aber er sagte auch: „Es ist ein scharfes Urteil, wenn man nur von einem Gottesdienst ausgeht. Natürlich muss man große Ansprüche an die Kirche haben, aber es braucht auch Barmherzigkeit.“