Trotzig, selbstbewusst und eine großartige Songwriterin: Taylor Swift veröffentlicht ihr neues Album „Lover“ Foto: Universal

Vom All-American-Country-Girl zur Disco-Queen und zurück: Am 23. August ist Taylor Swifts neues Album „Lover“ erschienen. Und inzwischen legt sich die Frau, die früher als bravster aller US-Superstars galt, gerne mit ihren Gegnern an. Jetzt wurde sie bei den American Music Awards als "Künstlerin des Jahrzehnts" ausgezeichnet.

Stuttgart - Taylor Swift war schon immer ein Trotzkopf. Weil dieses Country-Wunderkind aber nicht nur für Popstarverhältnisse ausgesprochen gute Manieren hat, fällt das manchmal nicht so auf. Wenn sie sich beschwert, sich ärgert, widerwillig ist, verpackt sie ihren Unmut stets in hübsche Melodien und ein Lächeln. Zum Beispiel in der Country-Nummer „Mean“ aus dem Jahr 2010, die ihr zwei Grammys einbrachte. Hinter den fluffigen Harmonien verbirgt sich eine störrische Abrechnung mit all jenen, für die Kritik nur ein Mittel ist, um andere zu verletzen und zu demütigen. Eines Tages werde ich so groß sein, dass du mir nicht mehr wehtun kannst, singt Swift.

Auch hinter „Shake it off“, dieser sensationellen Dancepop-Nummer aus dem Jahr 2014, verbirgt sich eine trotzige Hymne – und letztlich eine Fortschreibung von „Mean“: Die beste Möglichkeit, mit Internet-Trollen und anderen Schreihälsen umzugehen, ist es, den Ärger nicht an sich heranzulassen und ihn wegzutanzen: „And the haters gonna hate, hate, hate, hate, hate / Baby, I’m just gonna shake, shake, shake, shake, shake it off!“

Everybody’s Darling lebt hier nicht mehr

Und auch auf ihrem neuen Album „Lover“ kultiviert Taylor Swift, die ihren Vornamen der Tatsache verdankt, dass ihre Eltern Fans von James Taylor waren, ihre Trotzigkeit. Im knuffigen Elektropop-Track „You need to calm down“, durch den ein Synthiebass zu einem verschobenen Beat hin und her hüpft und die Tonspuren durcheinander bringt, fragt sie die Krakeeler, woher eigentlich all ihre Wut kommt – und empfiehlt ihnen, doch einfach mal die Klappe zu halten.

Dabei weiß Taylor Swift wahrscheinlich ganz genau, warum so viele so derart wütend auf sie sind, sie gar für eine Verräterin halten. Denn ausgerechnet dieses All-American-Country-Girl, dieses nette Mädchen von neben an, dass sich so gut geeignet hat, das artige und blitzsaubere Postergirl für Trumps weißes Amerika und für die Alt-Right-Bewegung abzugeben, also für all jene Tugenden zu stehen, die religiös-reaktionäre Kräfte in den USA propagieren, hat sich als Spielverderberin erwiesen.

Everybody’s Darling lebt hier nicht mehr: In die böse Elektroclash-Nummer „Look what you made me do“, die vor zwei Jahren erschien, schmuggelte sie passend dazu einen kleinen Dialog: „Tut mir leid, die alte Taylor kann gerade nicht ans Telefon kommen!“ „Warum nicht?“ „Ach, weil sie tot ist!“ Dass sie vor ein paar Jahren ihren Popstarstatus ausnutzte, um den Apple-Konzern dazu zu zwingen, die Bezahlregeln seines Musikstreamingdienstes zu ändern, hätte man ihr durchgehen lassen. Auch, dass sie kein Geheimnis daraus macht, wie entsetzt sie darüber ist, dass Justin Biebers Manager Scooter Braun die Rechte an allen ihren frühen Alben gekauft hat, auch, dass sie deshalb trotzig plant, diese Platten einfach noch einmal neu einzuspielen. Aber dann wurde sie politisch.

Statement gegen Diskriminierung und Rassismus

In einem langen Beitrag beim Onlinedienst Instagram, bei dem sie sonst eher Bilder von sich selbst auf dem „Vogue“-Cover oder im „Cats“-Kostüm postet, verriet sie im Herbst 2018, dass sie bei den damals bevorstehenden Zwischenwahlen die in Tennessee antretende republikanische Kandidatin Marsha Blackburn nicht wählen werde. Weil diese als Abgeordnete etwa gegen die gleiche Bezahlung von Frauen und gegen ein Gesetz gestimmt hatte, dass Frauen besser vor häuslicher Gewalt, Stalking und Vergewaltigung schützen soll, und weil Blackburn findet, schwule Paare sollten nicht heiraten dürfen. Swift schrieb, sie glaube an den Kampf für die Rechte queerer und transsexueller Menschen. Sie halte jede Form der Diskriminierung wegen sexueller Orientierung oder Geschlecht für falsch, und sie finde den „systematischen Rassismus, der in diesem Land immer noch gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe allgegenwärtig ist, erschreckend und widerwärtig“.

Donald Trump erklärte daraufhin, er möge nun Swifts Musik „etwa 25 Prozent weniger“. Wer kein Trump-Fan, Rassist, Schwulenhasser oder unbelehrbarer Hinterwäldler ist, dürfte Taylor Swift dafür umso mehr lieben – eben weil diese Frau inzwischen nicht mehr nur großartige Songs schreibt, sondern auch außerhalb ihrer Lieder den Mund aufmacht.

Sie singt davon, wie viel einfacher es wäre, ein Mann zu sein

Die ehrgeizige 29-Jährige, die bereits als Elfjährige versuchte, in Nashville einen Plattenvertrag zu bekommen und mit 16 dann ihr Debüt „Taylor Swift“ veröffentlichte, hat einen weiten Weg hinter sich. Damals, im Jahr 2006, ließ sie sich noch als blond gelocktes Country-Engelchen vermarkten, das seine Lieder mit Banjo, Slide, Streichern und Westernschmalz verzierte. Inzwischen hat sie ihren musikalischen Horizont erweitert. Nachdem sie sich 2014 auf dem Album „1989“ vom Country abwendete und Synthie- und Elektropop für sich entdeckte, gibt sie sich jetzt auf „Lover“ experimentierfreudig, bringt in der grandiosen, detailversessenen Produktion alles herrlich durcheinander, hat nervös zitternde Synthiehymnen wie „The Archer“, vertrackte R’n’B-Nummern wie „False God“ und intim-akustische Country-Balladen wie „Soon you’ll get better“, die sie mit den Dixie Chicks vorträgt, im Programm.

Sie singt von Selbstbesinnung („I forgot that you existed“), davon, wie viel einfacher es wäre, ein Mann zu sein („The Man“) – und immer wieder von den Grausamkeiten der Liebe („Death by a thousand Cuts“, „Miss Americana & The Heartbreak Prince“). Die ulkige Hymne „Me!“, die sie mit Brendon Urie von Panic at the Disco! singt, würde sich dagegen auch wunderbar zur Beschallung des nächsten Kindergeburtstags eignen. Und durch den Titelsong „Lover“ schimmert dann noch einmal ein bisschen das Country-Mädel von früher. In der von einem schlurfender Beat getragenen Ballade spielt sie wieder den Trotzkopf: Hey, wir könnten doch einfach mal zum Beispiel die Weihnachtsbeleuchtung bis Januar hängen lassen, stellt sie tollkühn fest, denn die Regeln machen nicht die anderen, sondern wir.

Taylor Swift „Lover“ (Republic/Universal) ist am 23. August erschienen

Taylor Swift für Anfänger

Falls Sie Taylor Swift bisher komplett verpasst haben, hier fünf ihrer bisherigen Songs für den Einstieg:

Tim McGraw (2006) Die Idee zu ihrer Debütsingle hatte Taylor Swift im ersten Jahr an der Highschool.

Fifteen (2008) Eine Ballade, die vom allzu schnellen Erwachsenwerden erzählt.

Mean (2010) Eine Anti-Bullying-Hymne im traditionellen Country-Outfit.

Shake It Off (2014) Taylor Swift erobert glamourös und witzig die Tanzfläche.

Look What You Made Me Do (2017) Kurioser Selbstneuerfindungs-Pop zwischen Madonna und Lady Gaga.