Die Ärztin Lisa Federle hätte es für sinnvoll und verantwortungsvoll erachtet, den Tübinger Versuch fortzuführen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Pandemiebeauftragte Lisa Federle kritisiert, dass es keinen Sonderweg für den Tübinger Modellversuch gab. Man hätte mit Blick auf kommende Pandemien einiges lernen können, sagt sie.

Tübingen - Die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle hält es für einen Fehler, dass das Corona-Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ beendet werden musste. „Das war kein Spiel mit dem Tod“, betont die Ärztin, sondern ein wissenschaftlich begleiteter Versuch, der eine Lockerung ermöglicht und vielen Menschen Hoffnung gemacht habe. „Ich bin traurig, dass er abgebrochen wurde und es für Tübingen keinen Sonderweg gab.“ Man hätte mit Blick auf kommende Pandemien einiges lernen können. „Wir sind hier der Ursprung für alle Modellprojekte, warum nicht eines weiterlaufen lassen, um verlässliche Daten zu erhalten.“

Die Dunkelziffer der Infizierten ist niedrig

Seit September 2020 habe man in Tübingen durch massenhaftes Schnelltesten viele symptomlos Infizierte entdecken und dadurch weitere Ansteckungen verringern können. Die Dunkelziffer der Infizierten sei zwischen 25 und 50 Prozent niedriger als in vergleichbaren Städten hätten die Virologen festgestellt. Über Wochen sei die Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt unter 100 gelegen, im Landkreis Tübingen allerdings sei sie zuletzt doppelt so hoch gewesen.

An neun Stationen in der Stadt wurden Abstriche angeboten. Die Getesteten erhielten ein Tagesticket und konnten – ein negatives Ergebnis vorausgesetzt – einkaufen oder ins Theater gehen. Der Modellversuch, der am 16. März startete, wurde durch die Notbremse des Bundes gestoppt, die sich auf die Zahlen im Landkreis bezieht. Am Samstag waren die Geschäfte ein letztes Mal geöffnet. Zusammen mit Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hatte sich Federle seit Monaten fürs Schnelltesten für alle eingesetzt. Palmer beklagt die Ideenlosigkeit der Politiker in der Corona-Krise.

5000 Menschen nutzten Testmöglichkeiten pro Tag

Federle bedauert, dass nun der Anreiz für das massenhafte Testen verloren gegangen sei. Rund 5000 Menschen nutzten im Schnitt pro Tag die Testmöglichkeiten. „Das Problem ist, dass die Leute sich einen Kaffee zum Mitnehmen holen und weiterhin draußen in Gruppen zusammensitzen.“

Als nächstes großes Projekt will sich Federle an einer Initiative beteiligen, die sich zum Ziel gesetzt hat, Kindern mehr Bewegung im Freien zu ermöglichen. „Dafür haben sich die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tübingen, Sportreporter wie etwa Michael Antwerpes und andere Promis zusammengetan“, sagt Federle. In Corona-Zeiten säßen viele Kinder und Jugendliche nur noch vor dem Fernseher oder am Handy, das müsse ein Ende haben.