Linda Evangelista sagt: Eine missglückte Schönheits-OP hat ihr Leben zerstört. Foto: imago/Future Image

„Für weniger als 10.000 Dollar stehen wir morgens gar nicht auf.“ Dieser Satz ist die Definition des Begriffs Supermodel. Jetzt klagt Linda Evangelista auf 50 Millionen US-Dollar – wegen einer schief gelaufenen Schönheits-OP, die sie die Karriere und ihren Lebensmut kostete.

Stuttgart - Es ist der Satz, der zur Definition des Begriffs Supermodels wurde: „Für weniger als 10.000 Dollar stehen wir morgens gar nicht auf“, sagte Linda Evangelista 1990 der „Vogue“. Musste sie auch nicht. In den 90er Jahren gaben Designer deutlich mehr aus, damit das kanadische Supermodel in ihren Entwürfen über den Laufsteg ging. „Das Chamäleon“ wurde Evangelista aufgrund ihrer Wandlungsfähigkeit genannt.

Jetzt ist die 56-Jährige zurück in den Schlagzeilen – wegen einer Geschichte, die die Schattenseiten des Geschäfts mit der Schönheit in den Fokus rückt. Das frühere Supermodel verklagt wegen einer schief gelaufenen Schönheitsoperation den Hersteller des dabei eingesetzten Gerätes auf 50 Millionen Dollar Schadenersatz.

Evangelista ist „brutal entstellt“

Vergangene Woche wendete sich Evangelista auf Instagram an die Öffentlichkeit – und schilderte in einem Statement, das unter die Haut geht, ihr jahrelanges Martyrium: Durch das sogenannte „CoolSculpting“, einen Eingriff zur Fettreduzierung durch Kälte, sei sie „brutal entstellt“ worden. Der Eingriff sei nach hinten losgegangen und habe „das Gegenteil von dem bewirkt, was er versprach“: Er habe ihre Fettzellen vergrößert statt verkleinert „und mich dauerhaft deformiert“.Jetzt leidet Evangelista an einer Erkrankung, die sich paradoxe adipöse Hyperplasie nennt.

Noch zwei Mal ließ die 56-Jährige schmerzhafte, erfolglose Korrekturversuche über sich ergeben – ohne eine Besserung: „Ich bin, wie die Medien es beschrieben haben, ‚nicht wiederzuerkennen’“. Der missglückte Eingriff habe sie in eine depressive, von Selbsthass geplagte Einsiedlerin verwandelt: „Ich bin es so leid, so zu leben. Ich möchte erhobenen Hauptes aus der Tür gehen, obwohl ich nicht mehr wie ich selbst aussehe.“

Evangelista verklagt Zeltiq Aesthetics

Doch die Kanadierin will sich nicht nur offenbaren – sie geht auch in den Angriff: Am Freitag reichte Evangelista bei einem Bundesgericht in New York eine Klage gegen das Unternehmen Zeltiq Aesthetics ein. Darin begründet die Kanadierin die astronomische Höhe ihrer Forderungen mit „dauerhafter Verletzung und Entstellung, Schmerz und Leid, schwerwiegender emotionaler Belastung und Seelenqual und wirtschaftlichen Verlusten“.

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Die schiefgegangene Fettreduzierung vor fünf Jahren habe „ihre Karriere und ihren Körper ruiniert“, heißt es in der Klageschrift. So sei sie nicht mehr in der Lage, „ein Einkommen als Model zu verdienen“. Die einstige Model-Ikone wirft dem Unternehmen vor, mögliche Nebenwirkungen verschleiert zu haben.

Entdeckt wurde Linda Evangelista Ende der 1970er Jahre. Sie zog nach New York, unterschrieb einen Vertrag mit der Modelagentur Elite, dem Schwergewicht der Branche. Von da an lief die 1,77 Meter große markante Schönheit auf allen wichtigen Schauen und für die namhaftesten Designer. Karl Lagerfeld ließ Evangelista im Brautkleid seine Schauen schließen – die höchsten Ehren, die im Modelbusiness zu erlangen sind. Der deutsche Modezar attestierte der Kanadierin einmal, es gebe keine Zweite in der Branche, die so professionell sei. „Das Chamäleon“ probierte mit Vorliebe neue Haarfarben und -schnitte aus. Privat war Linda Evangelista mal mit Fabien Barthez zusammen, dem früheren französischen Nationaltorwart. Mit dem Milliardär François-Henri Pinault hat sie einen Sohn – und stritt sich mit ihm um den Unterhalt.

Plötzlich tauchte Evangelista ab

Irgendwann stöckelten Jüngere über den Laufsteg. Doch ihre Karriere ging weiter – auch jenseits der 40. Sie wurde zum Werbegesicht der Kosmetikmarke L’Oreal, auch Prada zog sie für einen Vertrag an Land. Doch dann, um das Jahr 2016 wurde es unerklärlich still um die Kanadierin. War sie zuvor gern gesehener Gast auf Society-Events, tauchte sie plötzlich ab. Und Paparazzi-Fotos zeigten eine Frau, die nicht mehr so schön und glamourös war wie einst. Dazu gab es reißerische Überschriften: „Ihr werdet kaum glauben, wie Linda Evangelista heute aussieht!“ oder „Linda Evangelista ist nicht wiederzuerkennen“. Jetzt erklärt die 56-Jährige, die missglückte Schönheitsoperation habe dazu geführt, dass sie sich in den vergangenen Jahren aus dem Rampenlicht zurückzog.

„Denk daran, wer du bist, was du erreicht hast“

Für ihren Schritt an die Öffentlichkeit bekam das Model viel Beifall und Zuspruch von ihren alten Kolleginnen: Cindy Crawford bewundert Evangelistas „Stärke“. „Es hat sicher großen Mut und Stärke gebraucht, diese Worte zu schreiben. Ich bin in Tränen ausgebrochen, als ich das gelesen habe. Nicht nur, weil ich in meinem Herzen wusste, dass du im Stillen etwas durchmachst, aber auch wegen der Narben, die das Leben auf uns allen hinterlässt“, schrieb das dänische Topmodel Helena Christensen. „Es ist so wichtig und schön, wenn jemand aus dem Schatten tritt und brutal ehrlich und echt ist.“ Naomi Campbell spendete ihrer früheren Laufsteg-Kollegin Beifall „für deinen Mut und deine Stärke. (..) Du weißt, dass ich dich liebe und dass ich für dich da bin. (...) Denk daran, wer du bist, was du erreicht hast und wie viele Menschen du berührt und beeinflusst hast.“

Für das ehemalige deutsche Model Anne Sophie Monrad wirft Evangelistas Geschichte aber auch ein Licht auf die Schattenseiten des Geschäfts mit dem schönen Schein: „Für mich ist das eine riesen Bestätigung, wie hoch der Druck in dieser Industrie ist, selbst für ein Supermodel“, sagte die Flensburgerin dem Deutschlandfunk. Monrad hat ein Buch über die Härten des Modelbusiness geschrieben. In „Fashion Victim“ gewährt sie einen Blick hinter die Fassaden der Modewelt. „Wäre diese Schönheitsoperation erfolgreich verlaufen, hätte sie wahrscheinlich nicht gesagt, dass sie etwas getan hat“, glaubt Monrad. „Und dieses Ideal würde weiterhin einfach da sein, dass man mit Mitte 50 aussieht wie mit womöglich Ende 20.“