Dicht an dicht: So kann die Vesperkirche 2021 ihre Gäste nicht bewirten. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Auch Angebot der Stuttgarter Vesperkirche muss sich den corona-bedingten Beschränkungen anpassen. Soll heißen: Auch in der Leonhardskirche wird der Betrieb weitgehend auf ein To-Go-System umgestellt.

Stuttgart - Während die Leonhardskirche ihre Pforten zur Speisung der Armen und Benachteiligten in der Gesellschaft traditionell erst am 17. Januar öffnet, beginnt im Land die Vesperkirchensaison bereits am Sonntag, 29. November, in Bopfingen. Doch hier wie dort wird sich das Angebot den Corona-bedingten Beschränkungen anpassen. Soll heißen: Auch in Stuttgart wird der Betrieb weitgehend auf ein To-go-System umgestellt, wie Kurt Klöpfer vom Gemeindediakonat des Evangelischen Kirchenkreises Stuttgart bestätigt. Angelehnt sei das Konzept an das der ersten Lockdown-Phase, als man eine „Vesperkirche Light“ praktizierte: „Da konnte man sich auch an der Kirchentür etwas zum Essen mitnehmen.“

Leicht fällt diese Entscheidung keinem im Team der Vesperkirche. Jedem ist bewusst, dass das Konzept der Vesperkirche vor allem auf persönliche Begegnung setzt. Daher will man in Stuttgart die Kirche öffnen. „Man soll sich wenigstens mal hinsetzen und auch was trinken können“, sagt Klöpfer, „dafür führen wir einen Drei-Schicht-Betrieb ein.“

Vesperkirche im Schichtbetrieb

Konkret sieht das von Mitte Januar bis bis 6. März 2021 täglich von 9 bis 16.15 Uhr so aus: Es wird Tee und Wasser ausgeschenkt, es gibt Raum für Gespräche und Beratung. Und nach einer Stunde gibt es ein Wort auf den Weg. Danach wird gelüftet und desinfiziert und dann wieder geöffnet. Vier solcher Zeiträume sind pro Tag geplant. Allerdings werde es kein Friseur-Angebot, keine Fußpflege und keine ärztliche Betreuung geben. Offen ist noch, ob und wie man das Kulturangebot aufrechterhalten kann. „Daran tüfteln wir noch“, sagt Klöpfer, wohlwissend, dass die aktuelle Corona-Situation alle Planungen über den Haufen werfen könnte: „Wir arbeiten derzeit auf Sicht.“ Nur eines soll in Stein gemeißelt sein wie die zehn Gebote: „Den Gottesdienst am Sonntag wollen wir auf jeden Fall feiern.“

Auswirkungen hat die Pandemie auch auf die Situation der Ehrenamtlichen. Klöpfer spürt eine gewisse Zurückhaltung bei den Azubi-Gruppen der Firmen. Auch bei den einzelnen Bewerbern hat sich etwas verändert: „Wenn wir früher im Oktober die Anmeldungen für die Ehrenamtlichen rausgeschickt haben, waren wir nach einer Woche ausgebucht.“

Nun laufe auch dieses Prozedere „schleppender“: „Natürlich muss man bedenken, dass viele unserer Ehrenamtlichen zu der Gruppe 60 plus gehört und ein höheres Risiko bei einer Infektion hat.“ Gleichwohl ist für Landesbischof Frank Otfried July das Engagement der Helfer von großer Bedeutung: „Vesperkirchen sind unverzichtbar, sie legen den Finger in eine Wunde des Sozialstaats. Gerade in der Pandemie verschärfen sich die sozialen Gegensätze. Als Christen stehen wir klar auf der Seite der Armen und Benachteiligten“, sagt er. „Ich bin den mehreren Tausend Engagierten vor Ort sehr dankbar. Sie setzen sehr viel Zeit, Kraft, Geld und – gerade in dieser Zeit – auch viel Kreativität und Fantasie ein, um denen beizustehen, die Hilfe brauchen.“

Bischof hebt Bedeutung hervor

Auch der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks in Württemberg, Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, weist auf die wichtige Funktion der Vesperkirchen hin: „Vesperkirchen verhindern weder Armut noch soziale Ungerechtigkeiten. Sie sind auch keine Suppenküchen. Vesperkirchen sorgen dafür, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Prägung auf Augenhöhe begegnen und jene wahrgenommen werden, die sonst wenig Beachtung finden. Sie bieten Nahrung für Leib und Seele. Und sie mahnen die Politik: Setzt euch stärker für die Armen ein.“

Derzeit sind 25 Vesperkirchen bis Ende März in Baden-Württemberg geplant, neun weniger als vor Corona. In der vergangenen Vesperkirchensaison vor Ausbruch der Pandemie fanden in Baden-Württemberg 34 Vesperkirchen statt, vier davon in Baden. Zwölf der 34 Vesperkirchen wurden ökumenisch organisiert. In den 30 württembergischen Vesperkirchen haben damals rund 6600 Ehrenamtliche an 575 Vesperkirchentagen rund 170 000 Mahlzeiten ausgegeben. Die erste Vesperkirche öffnete im Übrigen Mitte der 1990er Jahre in der Leonhardskirche.