Eigentlich idyllisch: der Neckar in Stuttgart. Doch es sieht nicht überall so pittoresk aus. Der Fluss ist ein Stiefkind der Stadt. Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich

Seit langer Zeit gibt es Bestrebungen in Stuttgart, den Neckar dem Menschen zugänglicher zu machen. Doch bisher hat sich wenig getan. Andere Städte zeigen, wie man es machen kann. Der Vergleich zeigt: Es scheitert auch an der Geisteshaltung.

Am Anfang sind die Lobpreisungen: Eine Lebensader sei er, so heißt es. Zudem ein verbindendes Glied, er sorge für Zusammenhalt und stifte Identität. Mit einem Wort: Er sei wichtig.

Die Rede ist vom Neckar. Da ist man sich auf der Fachtagung „FlussRegion werden“, der zweiten Neckartagung, sicher. Das Motto der Tagung: „Vom Planschen, Paddeln und Kraulen – Bewegungsraum Fluss“.

Hidden Neckar

Doch gleichzeitig beschreibt auch ein einziges Wort, was der Neckar zudem ist: hidden – also versteckt. Freilich profitiert die Industrie und die Wirtschaft von ihm, doch nicht der Mensch an sich. Es gibt kaum Zugänge zum Neckar, man darf nicht im Fluss schwimmen, er ist eigentlich kaum sichtbar oder gar Teil des Alltags, zumindest nicht für den überwiegenden Teil der Bewohner in Stuttgart und der Region.

Vielerorts ist der Blick auf den Neckar verbaut. Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko

Karin Lang, Geschäftsführerin der Internationalen Bauausstellung IBA Stuttgart 2027, sagt: „Wir brauchen mehr Mut und mehr Visionen“ – die andere Städte und Gemeinden teils bereits umgesetzt haben: Sie machen vor, wie es gehen kann. Und zwar mit gänzlich unterschiedlichen Wegen.

Die Donau in Wien

„In Wien ist es unser Ziel, die Gewässer in einen naturnahen Zustand zu bringen“, sagt Gerald Loew, Chef der Magistralabteilung Wiener Gewässer. Und derer gibt es viele in der österreichischen Hauptstadt: Fünf Prozent des Stadtgebiets bestehen aus Gewässern. Die treibende Kraft, die den Fluss vorwärts bringen will, ist die Stadt. Dabei ist es von Vorteil, dass die Stadt auch der größte Grundeigentümer ist, der Flächen an den Gewässern hat. „Ja, die sind größtenteils in unserem Besitz, das macht es uns leichter, weil wir alles bestimmen und gestalten können“, sagt Loew.

Idylle vor den Toren der Hauptstadt: Donauinsel in Wien Foto: www.imago-images.de/Volker Preusser

Bereits in den 1970er Jahren wurde die Donauinsel gebaut, anfangs als reines Hochwasserschutzprojekt. „Man hat damals eine zweite Rinne gegraben und in die Mitte den Bauschutt aufgeschüttet“, sagt Loew. So entstand die Donauinsel, die 21 Kilometer lang und bis zu 150 Meter breit ist. Sie dient ausschließlich Freizeitaktivitäten und der Erholung. Es gibt einen Wasserskilift, Squashplätze und das größtes Freibad der Stadt, das Gänsehäufel. Der Fluss hat beste Badewasserqualität.

Urbane Nutzung der Flussufer

Auch heute arbeitet die Stadt daran, den Fluss noch attraktiver für die Menschen zu machen: „Wir haben etwa in der Piratenbucht oder an der Arena Beach Sand aufgeschüttet“, sagt Loew. Aber auch neue Orte entstehen, etwa das Pier 22: Hier geht es um eine städtische, urbane Nutzung des Flusses, es gibt eine Liegeplattform, Duschen, Gastronomie und die Möglichkeit für mobiles Arbeiten. Das Projekt wird kommendes Jahr fertiggestellt werden.

Die alte Donau, die ursprünglich der Hauptschifffahrtsarm war, ist heute ein Badegewässer: „Wir versuchen, es naturnah zu bewahren, zu vielen Teilen gibt es einen öffentlichen Zugang“, sagt Loew. Generell wolle er mit seinem Team sukzessive alle Flächen öffentlich und gratis nutzbar machen, „die politische Unterstützung dafür haben wir“. Einfache Mittel helfen dabei seiner Erfahrung nach, dem Mensch nichts wegzunehmen und die Natur dennoch zu schützen: „Wir haben 2023 eine neue Steganlage gebaut, damit das Ufer nicht abgetreten wird, die Stege leiten die Leute“.

Die Isar in München

Die Renaturierung der Isar fand bereits zwischen 1980 und 2010 statt, es war eines der internationalen Projekte für Hochwasserschutz. Ziel war es, das begradigte Ufer wieder naturähnlich zu machen mit den Kiesbänken, für die die Isar so berühmt ist.

Grünes Band quer durch die Stadt: Isar in München Foto: www.imago-images.de/Martin Siepmann

Schwimmen ist in der Isar nicht überall erlaubt, nur an bestimmten Stellen. An der Weideninsel etwa kann man auf einem kleinen Abschnitt in der Isar planschen, „das wird gut angenommen“, sagt Benjamin David vom Isarlust e.V. und Urbanauten. Er bemüht sich mit seinen Vereinen ehrenamtlich darum, die Rahmenplanung für den innerstädtischen Isarraum mitzugestalten. So entstand etwa der Kulturstrand der Urbanauten auf dem Isarbalkon auf der Corneliusbrücke. „Auf den Isarboulevard arbeiten wir noch hin“, sagt David. Und fügt an: „Ich weiß, wir sind größenwahnsinnig.“ Schließlich soll eine zwei- bis sechsspurige Autostraße, die sich 6,8 Kilometer an der Isar entlang zieht – weitgehend autofrei werden. „Damit gewinnen wir eine Fläche vergleichbar mit der des englischen Gartens zurück“, sagt David. Eine weitere Vision ist das Isarbad, bei dem der Fluss als öffentliches Schwimmbad dienen soll, einen Entwurf, der das Bad auf schwimmenden Flössen zeigt, gibt es bereits.

Der Rhein in Basel

„Ich will da rein!“, dachte Andreas Ruby, Direktor vom Schweizerischen Architekturmuseum in Basel, als er das erste Mal in die Stadt kam. „ Ich bin in Dresden geboren, hatte immer Angst vor dem Fluss in meiner Stadt, das Wasser war immer braun und dunkel. Dann bin ich in die Schweiz gekommen, nach Basel, und habe gesehen, dass Hunderte Menschen sich in den Rhein geworfen haben.“ Aus dieser Faszination heraus entstand auch die erste Ausstellung „Swim City“, die den Blick auf ein zeitgenössisches Phänomen im urbanen Raum lenkte: das Flussschwimmen als Massenbewegung. „Die Ausstellung war eine Kuriosität in der Schweiz, das ist so, als wenn man in Deutschland eine Ausstellung übers Grillen machen würde“, sagt Ruby. Denn für die Schweizer ist das Flussschwimmen eine für sie essenzielle Teilhabe am Lebensraum Fluss.

In Basel kann man auf zweieinhalb Kilometer durch die Stadt schwimmen – oder lässt sich vielmehr treiben. Gleichzeitig wird der Rhein auch von großen Schiffen genutzt, „das wäre in Deutschland ein Ausschlusskriterium fürs Schwimmen“, sagt Ruby. In der Schweiz hingegen habe man Bojen angebracht. „In der Schweiz gibt es eine Verantwortungskultur. Man weiß, man kann beim Schwimmen sterben, und das muss man akzeptieren. Das ist die Demokratisierung der Gefahr“, sagt Ruby.

Wien, München und Basel: Städte, die seit langer Zeit daran arbeiten, ihre Flüsse zu nutzen, um das Leben für die Menschen noch attraktiver zu machen. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist in Wien und in München ähnlich, allerdings ist der Prozess, der dorthin führte, sehr unterschiedlich. In München ist es die Zivilgesellschaft, die die Ziele vorantreibt, in Wien erfolgt der Einsatz von oben. In Basel sind es die Menschen und die Stadt. Bleibt die Frage, wer sich um den Neckar in Stuttgart kümmert.