Landwirtschaftsminister Özdemir macht Russland für drohende Hungersnöte verantwortlich. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Agrarminister Özdemir fordert angesichts des Konfliktes ein pragmatisches Vorgehen im Kampf gegen den Getreidemangel und den drohenden Hunger.

Cem Özdemir wählte am Dienstag in Brüssel deutliche Worte. „Russland führt eine Art Korn-Krieg“, Hunger werde im Konflikt mit der Ukraine gezielt als Waffe eingesetzt, klagte der Bundeslandwirtschaftsminister das Regime im Kreml an. Der Überfall Moskaus und dessen Folgen sei zentrales Thema des Treffens mit seinen EU-Kollegen. Dabei ging es aber nicht nur um die Ernährungsmittelsicherheit in Europa, rasant steigende Lebensmittelausgaben für die heimischen Verbraucher und explodierende Düngerpreise für die Bauern.

Russland blockiert die Häfen in der Ukraine

Vor dem russischen Einmarsch exportierte die Ukraine monatlich 4,5 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Erzeugnisse über ihre Häfen. Das entspricht zwölf Prozent des weltweiten Weizens, 15 Prozent des Mais-Bedarfs und 50 Prozent des Sonnenblumenöls. Wegen der Kämpfe konnte in vielen Gebieten die Ernte nicht eingeholt werden. Inzwischen lagert aber auch rund 20 Millionen Tonnen in den Getreidesilos und kann nicht abtransportiert werden, weil Russland die Häfen blockiert.

Besonders besorgt zeigte sich Cem Özdemir über den drohenden Hunger in den armen Ländern. „Wir haben eine Verantwortung für den Rest der Welt.“ Überall dort, wo schon jetzt wegen des Klimawandels massive Versorgungsprobleme herrschten, werde diese Katastrophe durch den Krieg verstärkt. Nach Angaben der Vereinten Nationen droht in vielen afrikanischen Ländern großes Leid. Wegen der anhaltenden Trockenheit seien Missernten abzusehen, die auch wegen des Krieges mit Lieferungen von außen nicht abgefangen werden könnten. Zudem haben Staaten wie Ägypten, Eritrea oder Sudan kaum eigene Anbaumöglichkeiten und beziehen mehr als 70 Prozent ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. Die EU-Kommission äußert die Befürchtung, dass es deswegen zu Unruhen in Afrika und dem Nahen Osten kommen könnte, was zu neuen Flüchtlingswellen führen würde. Die EU will diese Länder in den kommenden Monaten gezielt mit Finanzhilfen unterstützen.

In Afrika drohen Hungerkatastrophen

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Befeuert wird die Sorge um die weltweite Ernährungssicherheit durch eine Nachricht aus Indien, das ein Ausfuhrverbot für Getreide verhängen will. Damit sollen Preissteigerungen im eigenen Land eingedämmt werden, teilte die Regierung des weltweit zweitgrößten Weizenproduzenten mit. Eigentlich wollte Indien in diesem Jahr eine Rekordmenge von rund zehn Millionen Tonnen Weizen auf dem Weltmarkt verkaufen. Eine ungewöhnlich frühe Hitzewelle mit Temperaturen von weit über 40 Grad in Indien hatte zuletzt aber die Sorge vor einer Missernte geschürt.

Mehr Anbaufläche in Europa

Um die angespannte Situation zu lindern und den Markt zu entlasten, fordert Özdemir einen verstärkten Anbau von Weizen in Europa. Und mehr Pragmatismus: Es müsse kurzfristig Ausnahmen bei den Anbauregeln in der EU geben. So könne etwa die Fruchtfolge verändert werden. Die neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU sieht eigentlich vor, dass ab 2023 auf Ackerland jährlich etwas anderes angebaut werden muss, um die Böden zu schützen.

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Mit dieser Forderung stößt der Minister beim Deutschen Bauernverband auf offene Ohren, der sich ebenfalls für eine flexiblere Fruchtfolge ausspricht. Dort gehen die Verantwortlichen, davon aus, dass die kritische Versorgungssituation über die Ernte 2023 hinausreichen werde, sagte der stellvertretende Generalsekretär Udo Hemmerling. Er rechnet auch mit weiteren Preiserhöhungen, da die Produzenten die Preissteigerungen an Verbraucher weitergeben müssten.

Die Forderungen der Bauern

Der Bauernverband meint, dass den deutschen Landwirten mit Subventionen, Entlastungen und weniger EU-Auflagen über die nächsten Monate geholfen werden könnte. Als hinderlich empfinden er etwa die geltenden Höchstgrenzen für die Düngung in nitratbelasteten Gebieten und, dass künftig vier Prozent der Ackerflächen für den Naturschutz stillgelegt werden muss, um die Unterstützung von der EU zu kassieren.