SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger lässt sich auf der Wahlparty feiern. Foto: dpa/Boris Roessler

Persönliche Stärke und der Kanzlerbonus aus Berlin haben der SPD zu einem phänomenalen Sieg verholfen. Doch das ist nur ein Grund. Die CDU rätselt: Wie konnte die Niederlage so hoch ausfallen?

Dieses Bundesland mit seiner Kohle- und Stahlarbeitertradition hat schon immer links getickt. Alle Parteien waren hier etwas weniger konservativ als anderswo, und es mag daran erinnert sein, dass es die im Saarland einst sehr beliebte CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) war, die als Erste in ihrer Partei für den gesetzlichen Mindestlohn eingetreten ist. Und es mag auch daran erinnert sein, dass es hier – rechnet man SPD und Linke zusammen – seit den Landtagswahlen von 2009 rein rechnerisch stets linke Mehrheiten von SPD und Linkspartei gegeben hatte, die aber, weil sich beide spinnefeind waren, zu nichts führten.

Auf der SPD-Wahlparty ist die Anhängerschaft restlos begeistert

Jetzt aber ist der Durchmarsch der Roten gelungen, allein mit der SPD. Seit 23 Jahren stellte die CDU den Ministerpräsidenten im kleinsten Flächenland Deutschlands – und mit einem Paukenschlag ist das am Sonntag beendet worden. „Das Saarland hat Rot gewählt, die SPD hat die Wahl gewonnen, wir sind wieder die stärkste Kraft“, rief eine im blauen Sakko auftretende SPD-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger ins jubelnde Publikum bei der Wahlparty der SPD in der Konzerthalle „Garage“ in Saarbrücken.

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Die 45-jährige SPD-Spitzenkandidatin hat es damit im zweiten Anlauf geschafft, die CDU vom Sockel zu stoßen. Schon 2017 war Rehlinger gegen die Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer angetreten, von der sie vor zehn Jahren im Rahmen der Großen Koalition zunächst als Justiz-, dann als Wirtschaftsministerin ins Kabinett geholt worden war. In CDU-Ministerpräsident Tobias Hans, seit 2018 amtierend, hatte Rehlinger nun den leichteren Gegner. Der sorgte mit einem widersprüchlichen Coronakurs sowie einem spektakulären und etwas wirren Video auf Twitter, in dem er sich vor einer Tankstelle über die hohen Spritpreise empörte, auch bundesweit für negative Schlagzeilen.

In den Umfragen schnitt Rehlinger klar besser ab als Hans

Mehr Bürgernähe, höhere Glaubwürdigkeit, größere Sympathie und eine höhere Wirtschaftskompetenz – das hatten die letzten Umfragen Rehlinger im Vergleich zu ihrem Kontrahenten zugeschrieben. In einer ARD-Umfrage trauten 43 Prozent der Befragten der Juristin und Ex-Sportlerin, die immer noch saarländische Rekorde im Kugelstoßen und Diskuswerfen hält, zu, dass sie in der Lage sei, mehr Arbeitsplätze im Saarland zu schaffen. Bei Hans waren das nur 22 Prozent – eine vernichtende Bewertung für einen Christdemokraten.

Und mit noch etwas konnte Rehlinger punkten: Als Mitglied der neunköpfigen Kommission der Bundesregierung gegen die hohen Energiepreise konnte sie mit ihrem direkten Draht zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) werben: „Andere“ brüllten vor einer Tankstelle in ihr Handy, sie rufe auf ihrem Handy den Kanzler Olaf Scholz direkt an, meinte sie im Wahlkampf. Ein bisschen vom Kanzlerbonus dürfte auch sie profitiert haben.

Hans kündigt „persönliche Konsequenzen“ an

Der Sieg der einen ist der drastische Verlust der anderen. In der Eventlocation „Saarrondo“, wo die CDU ihre Wahlparty feiern wollte, waren nur wenige Dutzend Parteimitglieder erschienen, die Stimmung erinnerte an Trauerarbeit. „Natürlich werde ich persönliche Konsequenzen ziehen“, kündigte Tobias Hans in der ARD mit Blick auf die Niederlage seiner Partei an. Die genauen Abläufe würden in aller Ruhe in den Parteigremien beraten.

Angesichts der erdrutschartigen Verluste bleibt Hans offenbar auch keine andere Wahl. Führende CDU-Landespolitiker wie Markus Uhl – Generalsekretär der Saar-CDU – gingen früh, aber vorsichtig auf Distanz zu Hans: „Wir haben alle Verantwortung zu übernehmen, das werden wir im Gespräch klären.“ Es handele sich um eine „große, historische Niederlage“. Bitter aufgestoßen ist der Saar-CDU aber, wie schnell sie angesichts sinkender Umfragewerte von der Bundes-CDU in den letzten Tagen fallen gelassen worden ist, CDU-Chef Friedrich Merz hatte noch am Freitag einen Wahlkampftermin an der Saar gecancelt.

Die CDU-Basis rätselt über die klare Wahlniederlage

An der CDU-Basis aber gibt es Rätselraten, warum ihr im Prinzip dynamischer und moderner Kandidat so floppte. War er zu sprunghaft? Es gab mehrere Gründe, heißt es bei den CDU-Anhängern im „Saarrando“, die Corona-Politik habe wohl dazu gehört, meint ein älteres CDU-Mitglied. Nach 23 Jahren sei dem Volk aber nicht zu verdenken, wenn es mal eine andere Regierung wolle: „So hart hätte der Fall aber nicht sein müssen.“ Man möge nicht alles der Person des Ministerpräsidenten anlasten, sagt eine junge Christdemokratin, auch die Bundes-CDU sei ja bei der letzten Wahl im Abwärtsstrudel gewesen. Befragt man Sozialdemokraten, die auch spät am Abend noch ausgelassen feiern, und wo Anke Rehlinger tief in der Nacht die Bühne rockt und in die Menge ruft: „Ihr seid das Gesicht des Erfolges“, dann fällt die politische Analyse glasklar aus: Tobias Hans sei zwar sympathisch, aber seine größten Fehler seien sein fehlender Berufs- und Studienabschluss, sowie die Tatsache, dass er nicht gewählt worden sei, sondern von AKK einst das Ministerpräsidentenamt „geerbt“ habe. „Und ihm fehlt das Rückgrat“, meint eine ältere Genossin.

Mit einer SPD-Alleinregierung geht hier in der „Garage“ ein Wunschtraum für die Genossen in Erfüllung. Kurios wie immer an der Saar lief das magere Abschneiden der kleinen Parteien ab. Sowohl die Linke als auch die AfD und die Grünen haben heftige innerparteiliche Fehden hinter sich. Als Beispiel seien die Grünen genannt: Ex-Landeschef Hubert Ulrich hat die Partei seit Jahren abgewirtschaftet und gespalten, gegen ihn waren Manipulationsvorwürfe bei der Listenaufstellung laut geworden. Mit der 32-jährigen Juristin Lisa Becker als Spitzenkandidatin versuchten die Grünen einen Neuanfang, der misslang. Aber man sei ja froh, dass sich Ulrich aus dem Wahlkampf herausgehalten habe, seine Einmischung hätte „Sprengpotenzial“ für die Saar-Grünen bedeutet, heißt es.

Auch bei den Grünen gab es parteiinterne Querelen

Ein ähnlich liegendes Problem hatte die Linkspartei, bei der das einstige Zugpferd Oskar Lafontaine sich heftig mit dem Landesverband befehdet hatte und kurz vor der Landtagswahl seinen Austritt erklärte. Als „gezielte Sabotage“ wertete der Linken-Landeschef Thomas Lutze so ein Verhalten, Lafontaine denke wohl, er habe die Saarlinke „allein aufgebaut und kann sie jetzt auch allein kaputt machen“.

Zitterpartie für die Liberalen

Während die Linken aus dem saarländischen Landtag fliegen, ist die notorisch zerstrittene Saar-AfD drinnen, aber Jubel kommt auch bei den Rechtspopulisten nicht auf: Gegen den AfD-Kandidaten Josef Dörr läuft beispielsweise ein Parteiausschlussverfahren und wer von den AfD-Landtagsabgeordneten später der Partei treu bleiben wird, steht in den Sternen. Zulegen konnte auch die FDP, aber geschafft hat sie es am Ende nicht. Vielleicht lag es an ihrem seltsamen Wahlslogan „Ein Land will neu“.