Am Wochenende verkauft der Bio-Bäcker Martin Grath auf dem Heidenheimer Wochenmarkt. Foto: privat

Der baden-württembergische Landtag ist und bleibt fest in der Hand der Juristen und Lehrer. Handwerker sind unter den Abgeordneten im Stuttgarter Parlament deutlich unterrepräsentiert. Warum eigentlich?

Stuttgart - Der Teig für ein perfektes Baguette kühlt, ruht und reift mindestens 36 Stunden vor sich hin. „Man kann Baguette auch in eineinhalb Stunden machen, aber dann schmeckt es halt nicht!“ Über so alltagstaugliches Fachwissen verfügt im neuen Landtag nur einer: Martin Grath von den Grünen. Der Bäcker ist einer von nur sechs Abgeordneten, die einen klassischen handwerklichen Beruf angeben. Doch in dieser Zahl steckt fast eine kleine Sensation: „Im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode haben wir uns verdreifacht“, sagt Grath.

Lange war Grath mit dem Schlosser Konrad Epple von der CDU der einzige Handwerker im Landtag. Nun hat die CDU noch einen Kfz-Technikermeister in ihren Reihen. Bei der AFD gibt es neben einen Gas- und Wasserinstallateurmeister einen Mechatroniker und Industrieelektriker. „15 Prozent der Bevölkerung haben mit dem Handwerk zu tun“, sagt Grath „führt man sich das vor Augen, sind wir im Vergleich zu anderen Berufsgruppen unterpräsentiert.“

Juristen bei CDU und SPD, Lehrer bei den Grünen

Der Landtag ist und bleibt ein Parlament der Juristen und der Lehrer, das hat eine Umfrage unserer Zeitung unter den 154 Abgeordneten gezeigt. Rund ein Viertel hat diese Berufsbezeichnung angegeben. Besonders viele Juristen finden sich in der CDU- und in der SPD-Fraktion. Die Lehrer sitzen vor allem bei den Grünen hinter den Abgeordnetentischen. Die Dominanz dieser Berufsgruppen erklärt Grath so: „Wir beschließen hier viele Gesetze, darum haben wir viele Rechtsanwälte, und ein Viertel unseres Gesamtetats geht ins Kultusministerium, darum sind auch aus diesem Bereich so viele Vertreter dabei.“

Überrascht ist Martin Grath von dieser niedrigen Handwerkerquote genauso wenig wie Rainer Reichhold, der Präsident der Handwerkskammer Region Stuttgart und des Baden-Württembergischen Handwerkstages. Seitdem sich der Landtag zu einem Vollzeitparlament entwickelt habe, sei der Mangel an praktizierenden Handwerkern ein altbekanntes Problem.

Handwerker setzen ihre Existenz aufs Spiel

Ein Sanitärmeister oder Metzger, der sich einen Betrieb aufgebaut habe, zwei Gesellen und zwei Auszubildende beschäftige, könne nicht nebenher ein Amt antreten. Bei dieser gängigen Betriebsgröße müsse der Chef voll mitarbeiten. „Wenn er in den Landtag geht und nach fünf Jahren nicht wieder gewählt wird, kann er nicht zurückkehren. Dann existiert sein Betrieb nicht mehr“, sagt Reichhold. „Beamte wie Richter, Lehrer oder Fachkräfte im Finanzamt gehen nach fünf Jahren auf die gleichdotierte Stelle zurück ohne jegliche Einbußen.“

Engagierte Geschäftsführer, die den Betrieb zwischenzeitlich übernehmen könnten, finden sich nicht. „Wer das Format und den Biss hat, einen Betrieb zu führen, hat sich schon selbstständig gemacht“, sagt Reichhold. Der Biobäcker Grath hat vor seinem Wechsel in die Politik einen Gemeinschaftsbetrieb gegründet und ist als Geschäftsführer ausgestiegen. Heute steht er nur noch als Angestellter am Wochenende in der Backstube und verkauft seine Brotkunst auf dem Heidenheimer Wochenmarkt. Ein Einsatz, der bei den Wählern gut ankommt.

Kretschmann, der Handwerksversteher

Seine Rolle als Exot kann Grath im Landtag genießen. Vom ersten Tag an habe er in der Fraktion einen unheimlichen Rückhalt gespürt. Vor allem mit den Biobauern hat Grath viele Themen gemein. Großes Ansehen genießt Grath auch ganz oben, beim Ministerpräsidenten selbst. „Winfried Kretschmann ist ein Handwerksversteher“, sagt Grath. „Geht nicht, gibt’s nicht“ oder „Was nicht passt, wird passend gemacht“, sind markige Sprüche, mit denen der handwerkspolitische Sprecher der Grünen den Ex-Lehrer Kretschmann beeindruckt. Natürlich wünscht sich auch Reichhold mehr solcher Abgeordneten wie Grath. 2020 konnten beide etwa die Meisterprämie feiern.

Doch Reichhold betont, dass es auch außerhalb des Landtages viele engagierte Handwerksunternehmer, gebe, die sich in ihrer Innung, als Obermeister, in der Kreishandwerkerschaft oder im Kammerwesen engagieren. „Wir greifen schon in das politische Geschehen ein, aber eben nicht auf dem Sitz eines Parlamentariers.“

Eines der größten Anliegen des Biobäckers und des Handwerkskammerpräsidenten ist derzeit der Bürokratieabbau. Im Bäckerhandwerk ließen sich mit neuen Regelungen 12,6 Arbeitsstunden in der Woche einsparen, verdeutlicht Grath das Anliegen. Könnten die Bäcker mehr Zeit in ihre Teige stecken, statt Statistiken über die Temperaturen in ihren Kühlhäusern führen zu müssen, gäbe es das perfekte Baguette im Land vielleicht noch viel öfter zu kaufen.

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie „Der neue Landtag“. Grundlage sind die Ergebnisse einer Umfrage, die unsere Zeitung unter allen 154 Abgeordneten durchgeführt hat. Darin wurde nach persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Ausbildung, Migrationshintergrund, Beruf und Kinderzahl gefragt. In loser Folge veröffentlichen wir einige vertiefende Artikel. Lesen Sie auch: Machen Frauen auch Frauenpolitik?