Die Angeklagte wird in den Saal geführt. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Das Landgericht Konstanz verhandelt einen Fall, der aus der Masse heraussticht. In der Verhandlung wird dabei schwer zu verdauende Kost geboten.

Es ist mucksmäuschenstill. Niemand im Amtsgericht Schwäbisch Gmünd wagt es, in diesem Moment auch nur zu atmen. Gerade eben haben die Beteiligten die Aufzeichnung von einem Notruf zu hören bekommen. Was sie gehört haben, sind die letzten sechseinhalb Minuten im Leben eines Mannes.

Der Anruf kam am 17. Januar 2020, 10.20 Uhr. „Ich hab eine auf den Kopf gekriegt“, sagt der Mann, „ich blute.“ Mit ruhiger Stimme erzählt er, dass es seine Frau gewesen sei, die mit einem Hammer zugeschlagen habe. Er nennt seine Adresse und Telefonnummer. Wiederholt alles auf Nachfrage. Dann, nach eineinhalb Minuten Gespräch, der Schrei. „Sie will mich anzünden.“ Es folgen vier unendlich lange, quälende Minuten. Vier Minuten, in denen der Mann schreit „ich brenne, ich brenne“ und „Hilfe, Hilfe“. Dann ist die Leitung tot. Ob die Angeklagte dies alles gehört hat, ist schwer zu sagen. Die kleine, schmächtige Frau, sitzt mit dem Rücken zu den Zuschauern. Sie rührt sich nicht.

Älteste Bewohnerin im Gefängnis

Kurz zuvor hat sie mit kleinen Trippelschritten den Gerichtssaal betreten. Geführt von Justizwachtmeistern, alleine laufen kann die Frau so gut wie nicht mehr. Sie nutzt einen Rollator. In wenigen Tagen wird sie ihren 87. Geburtstag begehen, sie ist die derzeit älteste Bewohnerin der Justizvollzugsanstalt in Schwäbisch Gmünd. Dort, in den Räumen des Amtsgerichts, hat am Mittwochmorgen ein Prozess, begonnen, der heraussticht aus der Masse an Strafverfahren, die tagtäglich vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Und das aus mehreren Gründen.

Da ist zum einen der Ort des Geschehens. Die 3. große Schwurgerichtskammer des Konstanzer Landgerichts hat sich zu nahezu noch nachtschlafender Zeit auf den mehr als 200 Kilometer weiten Weg nach Schwäbisch Gmünd gemacht, um dort zu tagen. Das Konstanzer Gericht ist zuständig und bringt auch gleich die eigenen Justizwachtmeister mit. Der Angeklagten ist der Weg an den Bodensee nicht mehr zumutbar, darauf haben sich die Beteiligten im Vorfeld geeinigt.

Bundesgerichtshof hebt erstes Urteil auf

Da ist die juristische Seite des Verfahrens. Schon einmal ist die Angeklagte vom Konstanzer Landgericht verurteilt worden, wegen Mordes. Nicht zu einer lebenslangen Strafe, wie das eigentlich vom Gesetz vorgeschrieben ist, sondern zu elf Jahren Haft. Doch der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben, es gab Begründungsmängel. Nun muss eine andere Strafkammer noch einmal über die Schuld der nahezu blinden und tauben Frau befinden. Eine Kammer auf Reisen.

Und dann ist da natürlich der Tatvorwurf an sich. Im Januar 2020, die Angeklagte war da 83 Jahre alt, soll sie ihrem Ex-Mann mit einem Fleischklopfer auf den Kopf geschlagen haben. Von „wuchtigen Schlägen“ spricht der Staatsanwalt in seiner Anklage. Der 73-jährige Mann sei daran aber wider Erwarten nicht gestorben, weswegen die Frau ihn mit Benzin übergossen und gleich auch noch angezündet habe.

Zusammenleben, ohne zusammen zu sein

Mit grauer Jacke und peppig bunter Stola sitzt die Angeklagte zwischen ihren beiden Anwälten und hört zu, was einer ihrer Verteidiger dem Gericht berichtet. Die Ehe der beiden dauerte nur kurz und war schon in den 70er Jahren beendet. 1995 kam man wieder zusammen, nicht als Paar, sondern als Zweckgemeinschaft. Zusammenleben, ohne zusammen zu sein. Das spätere Opfer erscheint in der Erzählung in schlechtem Licht. Er habe sie wenige Tage vor der Tat getreten, als sie nach einem Sturz am Boden lag, er habe gedroht, sie aus dem Haus zu werfen. Das klingt so ganz anders als die Feststellungen, die das Konstanzer Landgericht in seinem ersten Urteil getroffen hatte. Da wurde der Ex-Mann als zeitlebens fürsorglicher Mensch beschrieben, der während des gemeinsamen Zusammenlebens jedoch zunehmend depressiv geworden sei. Die Frau hingegen als egoistisch und kaltherzig.

Gutachter hält Angeklagte für verhandlungsfähig

Die Angeklagte selbst kann oder will dazu nichts mehr sagen. An die genauen Umstände der Tat habe sie keine Erinnerung, sagt ihr Anwalt. Fragen des Gerichts könne sie daher nicht beantworten. In einer mehr als zweistündigen Verhandlungspause unterhält sich ein psychiatrischer Sachverständiger mit ihr. „Ein nettes Gespräch“, sagt Peter Winckler danach. Die Angeklagte habe zwar gravierende Probleme mit dem Hören und dem Sehen, sie zeige aber keine Symptome, die darauf schließen ließen, dass sie nicht verhandlungsfähig sei.

Inwieweit sich die Frau bei ihrer Tat auch deren Folgen und Auswirkungen bewusst war, das zu erforschen wird nun die Kernaufgabe des Landgerichts sein. Am Montag wird die Verhandlung fortgeführt, das Landgericht Konstanz geht wieder auf Reisen.