In der Wilhelma gedeihen Pflanzen wie etwa diese mit Klappfallen, die Insekten vertilgen können. Foto: /Ferdinando Iannone

In der Stuttgarter Wilhelma vereinen sich die Tier- und Pflanzenwelt im Insektivorium. Dort gibt es auch Pflanzen, die ihrer Beute mit Zuckersaft, Wachs oder langen Fangarmen zu Leibe rücken. Ein Besuch bei den Fleischfressern.

Wenn Gärtner Jürgen Rühle, seit 1980 in der Wilhelma, die Tür zu seinem Pflanzenreich öffnet, dann versteht man bald, warum er ein großer Fan der fleischfressenden Pflanzen ist: Sie zählen zu den kuriosesten Exemplaren. Wer kann sich schon vorstellen, dass sich hinter den beiden großen Fenstern im Haus für Kleinsäuger, Vögel und Insektivoren (KVI) Pflanzen befinden, die nicht nur Insekten, sondern im Zweifelsfall auch Mäuse verzehren können? Der 62-jährige Zierpflanzengärtner hat die Sammlung fleischfressender Pflanzen, die es schon lange in der Wilhelma gibt, mit aufgebaut. Kannenpflanzen seien ihm am liebsten, sagt er. Denn die großen Kannen mit etwa drei Liter Inhalt können sogar Mäuse oder Ratten verdauen.

Zuckersaft am Rand lockt die Insekten an

Der Trick der fleischfressenden Pflanzen: Am oberen Rand gibt die Pflanze Zuckersaft ab und im oberen Drittel ist Wachs, das die Fliegen hält. Im Kelch unten befindet sich die Verdauungsflüssigkeit, in der die Tiere dann mehrere Tage lang verdaut werden. Diese Stoffe sind wiederum für die Pflanze wichtig, die in nährstoffarmen Böden wächst. Manche Exemplare haben Härchen nach unten gerichtet, damit die tierische Beute gleich nach unten rutscht.

Krabbeltiere in der weißen Schlauchpflanze

Bei den fleischfressenden Pflanzen mit stacheliger Klappe bleibt allerdings der Chitinpanzer des vertilgten Insekts übrig. Wie die Pflanzen die Insekten verschlingen, zeigt Rühle, indem er einen kleinen Teil einer Kanne mit einem scharfen Messer aufritzt. Und tatsächlich: Dort, in der weißen Schlauchpflanze, die im Sommer im Freien ist, sind Insekten gefangen, die nun verdaut werden. Extra gefüttert werden die Pflanzen nicht. Die Beute fliegt von allein in die Gewächshäuser. Dort gibt es zum einen ein Meer von Kannenpflanzen, in anderen Bereichen gibt es fleischfressende Exemplare wie etwa den Sonnentau, der an seinen ausgerollten, länglichen Stilen klebrige Tröpfchen hat, an denen die Insekten kleben bleiben. Die aufgerollten Fangarme sind leicht zu erkennen. Durch ihr Glitzern und die rote Farbe werden die Fliegen angelockt. Über Drüsen gibt die Pflanze Verdauungssaft ab.

Fettkraut für zu Hause könnte Obstmücken vertilgen

Für zu Hause empfiehlt Rühle das Fettkraut aus Mexiko. Es blüht gerade violett. Er nennt es wegen der auffallenden Blütenfarbe, das „poppige Fettkraut“. Seine Klebefalle fängt nur kleine Insekten, das Kraut ist am Zimmerfenster gut zu halten. „Sie könnte möglicherweise funktionieren, um Obstmücken zu vertilgen“, empfiehlt Rühle.

Die meisten fleischfressenden Pflanzen brauchen viel Licht, manche wollen volle Sonne. Kannenpflanzen sind eher lichtschau und benötigen kalkarmes Gießwasser, am besten Regenwasser.

Die spektakulärste fleischfressende Pflanze ist die Venusfliegenfalle, die ebenfalls im Insektivorium zu sehen ist. Sie hat eine Klappfalle mit drei Härchen in jeder Blatthälfte. Diese sind der Auslöser, dass die Falle zuschnappt, sobald ein Insekt hineinfliegt. „Das funktioniert aber nur fünf bis sieben Mal, dann stirbt das Blatt ab“, sagt Rühle. Die Venusfliegenfalle frisst Fliegen und Spinnen. Die Pflanze braucht hohe Luftfeuchtigkeit, viel Licht und weiches Gießwasser. Wenn sie gerade mal keine Insekten bekommen, gehen fleischfressende Pflanzen aber nicht ein, sie bilden nur die zusätzliche Ernährung, nämlich Stickstoff. Sie wachsen immer da, wo der Boden sehr nährstoffarm ist.

300 fleischfressende Pflanzen in der Wilhelma

In der Wilhelma gibt es geschätzt mehr als 300 fleischfressender Pflanzen. Rühle vermutet, dass es solche Exemplare schon zu Zeiten König Wilhelms I. gab. Die Wilhelma hat drei Anzuchtgewächshäuser, ein temperiertes, kaltes Gewächshaus und zwei Schaugewächshäuser angeschlossen.

Steht man vor den Schaubereichen in der Wilhelma, so sind fleischfressende Pflanzen aus aller Welt und aus Asien zu sehen, vorwiegend aus Borneo, Sumatra und Thailand. Außerdem gibt es Exemplare aus den Südstaaten der USA, aber auch Pflanzen aus dem Mittelmeerraum, aus Afrika und Australien. Sie blühen und gedeihen vor allem von Frühjahr bis Sommer.

Kannenpflanze Nepenthes braucht Regenwasser

Im Schaubereich gibt es die beliebte Kannenpflanze Nepenthes. Dabei gibt es Exemplare, die nur männliche und andere, die nur weibliche Blüten haben. Die männliche Blüte hat mehr kleine Kügelchen und die weibliche kleine Auswüchse, Ansätze für die Fruchtbildung, die, wenn sie feucht sind, per Pinsel mit dem Blütenstaub der männlichen Blüte bestäubt werden können. Kannenpflanzen vermehrt Rühle aber auch als Stecklinge. Im Januar schneidet er die Kannenpflanzen zurück und macht Stecklinge daraus und topft sie neu. Im Winter sind sie eher in der Winterruhe. Blüht eine Kannenpflanze, kann die Blüte zunächst dran bleiben. „Sie blüht, wenn sie sich wohlfühlt“, sagt Rühle. Und dazu braucht sie Regenwasser, Bedingungen wie in den Tropen und das ganze Jahr über hohe Luftfeuchtigkeit.

Dionea mit Klappfalle für zu Hause.

Der Australische Zwergkrug ist eine Fallenpflanze und auf Ameisen spezialisiert. In der Wilhelma eine Rarität. Für zu Hause empfiehlt Rühle die Dionea – Venusfliegenfalle mit Klappfalle, die ein sehr sonniges Fenster braucht und von Mai bis Oktober draußen sein kann. Weitere Informationen gibt es auch bei der Gesellschaft für fleischfressende Pflanzen unter www.carnivoren.org. In der Wilhelma beantworten Gärtner ganzjährig mittwochs und samstags im Wintergarten der exotischen Gewächshäuser um 14 Uhr Fragen der Besucher.