Dieses Haus am Keßlerweg in Oberaichen hat der Sach- und Werbefotograf Willi Moegle erbauen lassen. Foto: Isabell Munck

Die Fotokünstlerin Isabell Munck wohnt und arbeitet in einem Atelier in Oberaichen, in dem bisher nur Fotografen und Fotografinnen gelebt haben. Und zwar keine Unbekannten. Ein Besuch.

Bäume haben es ihr angetan. Freilich nicht irgendwelche. Es müssen schon besondere Exemplare sein – mit eigenartigen Wurzeln, interessanten Einschlüssen oder Ausbuchtungen oder knalligen Farben. So wie jene Eiben, die in einem Wald bei Wessobrunn stehen. „Bei Nässe färbt sich ihre Rinde blutrot“, sagt Isabell Munck. Um geeignete Motive zu finden, fährt die Fotokünstlerin nach Oberbayern oder an die Ostsee in einen Gespensterwald. Beim Joggen hat sie den allerersten Baum entdeckt, den sie mit ihrer besonderen Technik einfangen wollte. Er steht in einem Waldstück in der Nähe von Degerloch. Seine Wurzeln erinnern an Elefantenfüße.

Für ihre Arbeiten fegt Isabell Munck zuallererst alle Blätter am Waldboden weg. Dann umkreist sie den Baum. Mit dem Smartphone, „um sich Notizen zu machen“, dann mit einer ihrer Profikameras. Sie macht 100 Bilder, um diese später am Computer in 80 bis 100 Arbeitsstunden zu einem „monumentalen Gesamtbild“ zusammenzufügen. Der Baum – besser gesagt sein Stamm und seine Wurzeln – wirken darauf wie aufgewickelt. Einer Baumwand gleich.

Der Schreibtisch von Isabell Munck, die auch schon mit geworfenem Wasser, geformtem Eis und loderndem Feuer gearbeitet hat, steht in einem Wohnatelier in Oberaichen. Das Haus liegt am Keßlerweg und ist ein ganz besonderer Ort. Denn dort haben bisher nur Fotografen und Fotografinnen gelebt und gearbeitet. Noch dazu keine Unbekannten: Willi Moegle hat das Wohn- und Geschäftshaus 1958 errichten lassen. Die Architekten waren Heinz Rall und Hans Röper. Der Sach- und Werbefotograf hat Möbel, Porzellan und Glas ins rechte Licht gerückt und sich so einen Namen gemacht. Hansi Müller-Schorp ist bei Willi Moegle in die Lehre gegangen. Sie war mit dem Ehepaar Moegle befreundet. „Das war wie eine Familie“, sagt Isabell Munck. In den 1970er Jahren, als sich ihr Lehrmeister immer mehr zurückzog, hat die langjährige Mitarbeiterin die Leitung des „Ateliers für Fotodesign“ übernommen und in dem Haus bis zu ihrem Tod auch gelebt. Sie habe lediglich jedem Gegenstand etwas Schönes abgewinnen wollen, das sei der Schlüssel für ihre erfolgreichen Arbeiten gewesen, hat sie einmal gesagt.

Isabell Munck arbeitet im Erdgeschoss des Hauses, das nun verkauft werden soll. Sie muss sich wieder nach einer neuen Bleibe umschauen Foto: Günter E. Bergmann - Photograph

Das Oberaichener Fotografenhaus, das in den 1950er Jahren als sehr modern galt, liegt etwas versteckt hinter den Büschen eines wilden Gartens. Innen verbindet ein helles Foyer mit edlem Steinboden und Treppe die beiden Stockwerke. In Erdgeschoss lebt und arbeitet Isabell Munck. 2019 ist die Diplomdesignerin bei Hansi Müller-Schorp eingezogen – die damals noch im Stockwerk darüber wohnte. „Von dir kann ich noch etwas lernen“, hat die ältere Fotografin einmal zu der jüngeren gesagt. Darauf ist Isabell Munck schon etwas stolz. Und sagt: „Wir haben uns von Anfang an gut verstanden.“ Die beiden Frauen haben auch einmal Silvester miteinander gefeiert. Die Jüngere hat für die Ältere gekocht.

Wie es zu der Wohngemeinschaft kam

Wie aber kam es überhaupt zu dieser Wohngemeinschaft? Die Diplomdesignerin, die in Stuttgart geboren ist, war 2019 auf der Suche nach einer neuen Bleibe. „20 Jahre lang hatte ich im Stuttgarter Osten ein großes Fotostudio“, erzählt sie. Doch das Atelier wurde verkauft, sie musste ausziehen. Zunächst fand die Fotografin Unterschlupf bei einem Bekannten, der in Oberaichen lebte. Der Freund hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass gleich gegenüber eine ältere Dame allein in einem großen Haus lebt. „Ich habe einfach mal geklingelt“, sagt Isabell Munck. Sie könnten ja mal einen Termin vereinbaren, hat die damals 92-Jährige durch die Sprechanlage gesagt. Und ihr später angeboten, zumindest mal ihre Sachen unterstellen zu können.

Hansi Müller-Schorp hat am Keßlerweg viele Jahre gewirkt. Foto: Günter Bergmann

Isabell Munck sagt: „Ich habe mich in diesem Haus von Anfang an wohl gefühlt.“ Bis zuletzt sei Hansi Müller-Schorp hellwach gewesen – sei ohne Stock gelaufen. Mit 95 Jahren ist sie verstorben. Ihr Sohn hat das Haus geerbt. Es soll nun verkauft und von Privatleuten saniert werden. Für Isabell Munck bedeutet dies, dass sie sich wieder nach einer neuen Bleibe umschauen muss. „Wenn ich hier ausziehe, geht eine Ära zu Ende“, sagt sie. „Denn in diesem Haus haben bisher nur Fotografen gelebt.“

Eine Schau, zwei Medaillen

Ausstellung „Umkreise“
 Die „Waldstücke“ von Isabell Munck werden von Sonntag 16. Juli an bis zum 1. Oktober in der Städtischen Galerie Ostfildern zu sehen sein. Die Ausstellung trägt den Titel „Umkreise“. An der Vernissage wird Professor Klaus Honnef sprechen. Er gilt als eine Ikone der Fotografietheorie und Kunstkritik.

Hansi Müller-Schorp
 Die Fotografin setze Alltagsgegenstände kunstvoll ins Licht und hat sich in einer Männerdomäne durchgesetzt. Sie engagierte sich viele Jahre bei der Deutschen Fotografischen Akademie. Ihr wurde 2012 die David-Octavius-Hill-Medaille in Verbindung mit dem Kunstpreis der Stadt Leinfelden-Echterdingen verliehen. 2020 hat sie die Bürgermedaille der Stadt erhalten, 2022 ist sie im Alter mit 95 Jahren gestorben.