Der Wirtschaftswissenschaftler Frank Roselieb leitet das Institut für Krisenforschung in Kiel, ein Ableger der Christian-Albrechts-Universität. Foto: Krisennavigator - Institut für Krisenforschung

Gutes Pandemiemanagement lebt vom Prinzip Zuckerbrot und Peitsche, sagt der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb. Immer nur Mahnungen seien falsch.

Kiel - Der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb kritisiert das Pandemiemanagement der Bundesregierung. Die Politik habe viele Maßnahmen nicht ausreichend erklärt.

Herr Roselieb, es werden Corona-Regeln widerrufen, Gerichte kippen Maßnahmen, die Akzeptanz für den bundesweiten Flickenteppich sinkt. Was ist nötig, damit die Stimmung nicht kippt?

Zum einen leidet das Demokratiegefühl, wenn in den Parlamenten nicht genug über die Corona-Politik debattiert wird. Es sollte mehr auf Regierungserklärungen und aktuelle Stunden gesetzt werden. Zum anderen bedarf es bei Eskalationen immer wieder Ad-hoc-Erklärungen – sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene. Neben der Bundeskanzlerin haben dies auch immer mehr Ministerpräsidenten erkannt.

Die Politik von Kanzlerin Merkel war noch nie so unter Beschuss. Was macht sie falsch?

Die Zustimmungswerte für die Regierungspolitik sind weiterhin recht hoch. Nach dem aktuellen Deutschlandtrend finden mehr als 80 Prozent die Maßnahmen ausreichend oder wünschen sich sogar eine Verschärfung. Gleichwohl ist der Anteil der Corona-Skeptiker gestiegen. Die Kanzlerin muss aufpassen, dass sie nicht die Fehler aus dem Sommer und Frühherbst wiederholt. Die Politik hat nicht gut genug erklärt, dass wir jetzt vom Sommermodus der Pandemie zum Wintermodus kommen. Weil wir uns wieder mehr in Räumen aufhalten und dichter zusammenrücken, gelten viele Regeln nun wieder anders. Beispielsweise waren Deutschlandreisen im Sommer ausdrücklich erwünscht, nun sollten sie aber besser unterbleiben. Das irritiert viele Menschen.

Ist der mahnende Ton der richtige?

Ein gutes Pandemiemanagement lebt vom Prinzip Zuckerbrot und Peitsche. Mahnende Worte sind wichtig, damit nicht sofort wieder harte Maßnahmen folgen müssen. Aber auch lobende Worte dürfen nicht fehlen. In jedem guten Krisenhandbuch steht bereits in der Rubrik Krisenbewältigung auch der Punkt „Regelmäßiger Dank an die Helfer“. Das kommt mir etwas zu kurz.

Wie schlägt sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann?

Herr Kretschmann muss einen Drahtseilakt meistern: Auf der einen Seite ist die Infektionslage in Baden-Württemberg ähnlich hoch wie in Bayern – und damit dramatischer als etwa in Schleswig-Holstein. Das ruft nach einer harten Hand. Auf der anderen Seite gilt Baden-Württemberg als Hotspot der Corona-Skeptiker. Kretschmann ist daher gut beraten, immer wieder zu erklären und zu erklären.