Will die Linke zur Sachpolitik zurückführen: Martin Schirdewan bewirbt sich um den Parteivorsitz. Foto: dpa/Gregor Fischer

Mitte Juni will die Linke auf ihrem Bundesparteitag in Erfurt nicht nur eine neue Parteispitze wählen, sondern die Grabenkämpfe der vergangenen Jahre überwinden. Die Chancen dafür stehen nicht besonders gut.

Die Linke will sich im Juni auf ihrem Bundesparteitag in Erfurt neu aufstellen und ihre Krise überwinden. Wie stehen die Chancen dafür? Eine Analyse.

Welches Ausmaß hat die Krise?

Parteichefin Janine Wissler sagt, sie bedrohe die Existenz der Partei. Das dürfte keine Übertreibung sein. Nur aufgrund von drei direkt geholten Wahlkreisen ist die Partei im Bundestag noch vertreten, nachdem sie bei den Bundestagswahlen ein Ergebnis von 4,9 Prozent eingefahren hatte. Seither sanken die Umfragewerte weiter, und alle Landtagswahlen dieses Jahres endeten im Desaster.

Was sind die Ursachen der Krise?

Das Bundestagswahlergebnis hat die Partei schwer erschüttert. Im Wahlkampf war deutlich geworden, wie zerstritten die Partei außenpolitisch ist, als sie sich nicht zu einer Zustimmung zu den Evakuierungseinsätzen der Bundeswehr in Kabul durchringen konnte. Das Thema ließ die Partei auch nach der Wahl nicht mehr los. Immer wieder zeigt sich, dass – trotz deutlicher Erklärungen der Parteiführung – die Partei keine einheitliche Haltung in der Ukraine-Frage findet. Regelmäßig gibt es irritierende Stimmen, die erstaunlich viel Verständnis für die russische Position aufbringen. Dazu hat die Partei, ausgehend von bekannt gewordenen Vorgängen in Hessen, eine Debatte darüber erreicht, ob die Linke ein Sexismus-Problem habe. Da ein Ex-Freund von Parteichefin Janine Wissler darin involviert war, ist auch ihre Position geschwächt. Neben diesen aktuellen Problemen belastet die Partei seit langem eine für Außenstehende merkwürdige Debatte darüber, wer eigentlich Zielgruppe linker Politik sein sollte. Die Strömung, die vor allem von Sahra Wagenknecht repräsentiert wird, kritisiert, dass sich die Partei neuerdings zu sehr um städtische akademische Milieus kümmere. Auch ist umstritten, ob eine stärkere Betonung der Umwelt- und Klimapolitik das linke Profil unklarer mache.

Wie soll die neue Führung aussehen?

Auf dem Parteitag in Erfurt wird im Juni eine neue Parteispitze gewählt. Es gilt als ausgemacht, dass eine Frau und ein Mann die Partei gemeinsam führen sollen. Janine Wissler hat angekündigt, dass sie sich um eine weitere Amtszeit bemühen werde. Das soll als Zeichen der Kontinuität und Stabilität verstanden werden. Bislang hieß es in der Partei, Wissler habe gute Chancen auf eine Wiederwahl, wenn auch mit womöglich dürftigem Ergebnis. Nun hat überraschend eine zweite weibliche Bewerberin ihre Kandidatur angemeldet.

Wer sind Wisslers Kritiker?

Die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek wird in Erfurt gegen Wissler kandidieren. Die 34-jährige niedersächsische Landesvorsitzende ist erst seit 2021 im Bundestag. Sie ist auf Anhieb Mitglied im Fraktionsvorstand und frauenpolitische Sprecherin geworden. Reichinnek war auch Landessprecherin der Jugendorganisation der Partei „Solid“, die der Parteiführung in Abneigung verbunden ist. Ihre Ankündigung zur Kandidatur verband Reichinnek mit einer ziemlich unverhohlenen Attacke auf Wissler. „Es muss unmissverständlich klar werden: Sexismus und erst Recht sexualisierte Gewalt haben Konsequenzen und werden auf keiner Ebene unserer Partei toleriert.“ Ein deutlicher Hinweis, dass Wissler die Vorwürfe in Hessen nicht aktiv aufgearbeitet habe. Eine klare Alternative gibt es auch bei dem „männlichen“ Vorstandsposten.

Welche Männer treten an?

Mit dem Europapolitiker Martin Schirdewan hat sich ein Kandidat gefunden, der ein dezidierter Gegner ideologiegetriebener Politik ist. Der gebürtige Ost-Berliner tritt dafür ein, die Gerechtigkeitsfrage in den Mittelpunkt der linken Programmatik zu stellen. Mit dem Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann gibt es auch hier einen Gegenkandidaten. Pellmann hat seinen Leipziger Wahlkreis für die Linke direkt gewonnen. Er gehört dem Flügel um Sahra Wagenknecht an, sodass der Abstimmung zwischen Schirdewan und ihm eine sehr grundsätzliche Bedeutung zukommen wird. Pellmann ist nicht unumstritten. Sein Wahlkampf fiel durch hohen Materialaufwand auf. Es gibt kritische Nachfragen woher das Geld dafür stammte, die Pellmann bislang noch nicht klar beantworten konnte. Wagenknecht hat sich bereits klar für Pellmann ausgesprochen.