„Der Apotheker“ Foto: Netflix

Malcolm X, die Opioid-Krise in den USA und das Leben des „Una Bombers“ Ted Kaczynski: Netflix zeigt aktuell drei neue „True Crime“-Formate. Wir haben sie auf Herz und Nieren geprüft.

Stuttgart - Die sechsteilige Doku „Wer hat Malcolm X umgebracht?“ fällt aus dem Raster herkömmlicher „True Crime“-Erzählungen und richtet sich in erster Linie an historisch und politisch Interessierte. Vordergründig untersuchen die Macher Rachel Dretzin und Phil Bertelsen das bis heute nicht restlos aufgeklärte Attentat auf den im Februar 1965 ermordeten Bürgerrechtler Malcolm X nach den Parametern des klassischen „Whodunit“. Doch viel wichtiger als die Frage nach den wahren Tätern ist ihnen die Darstellung des gesellschaftlichen Klimas, in dem sich der charismatische wie umstrittene Religionsführer und Aktivist bewegte.

Akribisch beleuchtet die Serie den Werdegang und die Ideenwelt von Malcolm X und porträtiert ihn als Opfer eines gefährlichen Machtstreits innerhalb der radikalen Organisation Nation of Islam, deren Angehöriger und Wortführer der als Malcolm Little Geborene seit Ende der vierziger Jahre gewesen war. Wer sich eine restlose Aufklärung des Attentats erhofft, könnte allerdings enttäuscht werden. Immerhin führten neue, in der Serie vorgestellte Erkenntnisse des Historikers Abdur-Rahman Muhamad dazu, dass die New Yorker Bezirksstaatsanwaltschaft den Fall noch einmal aufrollen will.

Käufliche Rezepte

Nicht minder spannend fällt die vierteilige Miniserie „Der Apotheker“ aus, die das bereits für mehrere Emmys nominierte Team Julia Willoughby Nason und Jenner Furst zur Opioid-Krise in den USA realisiert hat. Anhand des Mordes an einem jungen Drogenkonsumenten im Jahr 1999 entwickeln die Dokumentaristen eine packende Gesellschaftsstudie zum Umgang mit verschreibungspflichtigen Medikamenten.

Im Zentrum steht der Kleinstadtapotheker Daniel Schneider, dessen Sohn während eines Drogendeals erschossen wurde. Weil die Polizei in New Orleans damals im Ruf steht, in Mordfällen nur widerwillig zu ermitteln, sucht Schneider über anderthalb Jahre hinweg auf eigene Faust nach Zeugen und bringt so den erst 16-jährigen Täter vor Gericht. Als Schneider zur Arbeit zurückkehrt, bemerkt er immer häufiger junge Leute mit Rezepten für das schnell süchtig machende Schmerzmittel Oxycontin. Weitere Ermittlungen führen Schneider zu einer sogenannten „pill mill“, einer allgemeinmedizinischen Praxis, in der Dealer illegal ausgestellte Rezepte für harte Betäubungsmittel kaufen können.

Die Innenwelt eines Serienkillers

Eindrucksvoll lotet die Serie das ganze Ausmaß der Opioid-Krise aus vom Einzelschicksal bis zur Verstrickung der Pharmakonzerne. Dass Willoughby Nason und Furst die Ereignisse stark emotionalisieren, schmälert die Wirkung nicht.

Großer Aufmerksamkeit erfreuen sich Serien, die intime Einblicke in die Innenwelten von Mördern versprechen, wie etwa „Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders“ oder die kürzlich um eine zweite Staffel erweiterte Produktion „I am a Killer“ über Insassen in amerikanischen Todeszellen. Der Vierteiler „Unabomber: In his own Words“ ist – wenn man sich bloß am Titel orientieren möchte – eine kleine Mogelpackung, weil der berüchtigte Briefbomben-Terrorist Ted Kaczynski hier nur in einigen Tonbandausschnitten zu Wort kommt – hauptsächlich porträtiert wird er von seinem Bruder David, seiner Schwägerin, Nachbarn, überlebenden Opfern und Ermittlern.

Ergebnis einer Gehirnwäsche?

Mick Grogans Nacherzählung der beklemmenden Biografie Kaczynskis enthält keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse zur Person des extremistischen Ökoanarchisten. Wer die Geschichte des heute 77-jährigen Unabombers jedoch nicht kennt, bekommt einen Eindruck vom bizarren Lebensweg eines Mannes, der als hochintelligenter Schüler mit 16 Jahren ein Harvard-Studium aufnahm, dort womöglich einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und sich in der Folge radikalisierte.

Die Miniserie ist ein unheimliches und allgemeingültiges Beispiel dafür, wie sich Menschen mit starken Idealen unter besonderen Umständen zu Tätern entwickeln können.