Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (links) muss dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö erklären, dass die Aufnahme des Landes in die Allianz länger dauern wird als erwartet. Foto: AFP/MARKKU ULANDER

Das Bündnis verstärkt seine Truppen im Osten, darf aber nicht in den Krieg in der Ukraine hineingezogen werden.

Im Nato-Hauptquartier in Brüssel herrscht eine überraschend entspannte Stimmung. Nichts deutet darauf hin, dass das atlantische Verteidigungsbündnis vor den größten Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte steht. Im Osten Europas tobt ein blutiger Krieg und im Norden bitten Schweden und Finnland angesichts der russischen Aggression um Aufnahme. Im Moment vollführt die Nato einen schwierigen Balanceakt. Sie muss das militärische Abschreckungspotenzial an der Ostflanke erhöhen, will gleichzeitig die Ukraine unterstützen und darf sich allerdings nicht in den Krieg in der Ukraine hinziehen lassen.

Die Nato koordiniert keine Waffenlieferungen

„Die einzelnen Mitgliedstaaten sind deswegen ständig im Gespräch miteinander“, heißt es aus dem Hauptquartier, fast jeden Tag müsse die Situation neu beurteilt werden. Mitte dieser Woche treffen sich nun die Verteidigungsminister der Nato-Staaten in Brüssel, um die nächsten Schritte zu beraten. Gesprochen wird natürlich auch über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Ein Nato-Diplomat betont allerdings immer wieder, dass dieses Treffen der sogenannten Kontaktgruppe am Mittwoch absolut keine Verbindung zum eigentlichen Nato-Gipfel am Donnerstag habe. „Das Bündnis hat nichts mit der Koordinierung von Waffenlieferungen zu tun“, unterstreicht er, das sei Sache der einzelnen Mitgliedstaaten.

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Die Ostflanke wird weiter verstärkt

Im Zentrum der Beratungen der Verteidigungsminister steht die Stationierung weiterer Truppen an der Ostflanke des Bündnisses. Hier hat Deutschland bereits erste Vorschlägen zum deutlichen Ausbau seiner Präsenz in Litauen vorgelegt. „Diese Ideen sind von den Partnern mit großem Wohlwollen aufgenommen worden“, heißt es aus deutschen Verhandlungskreisen. Derzeit ist ein von Deutschland geführtes Nato-Bataillon mit 1600 Soldaten in Litauen stationiert - davon gehören mehr als 1000 der Bundeswehr an. Die baltischen Staaten dringen seit längerer Zeit auf die Stationierung jeweils einer Nato-Brigade in den drei Ländern. Eine Brigade besteht in der Regel aus etwa 3000 bis 5000 Soldaten. Von deutscher Seite wird allerdings betont, dass noch unklar ist wie viele Soldaten davon tatsächlich vor Ort stationiert werden sollen, und wie viele außerhalb bereitgehalten werden sollen. Die finale Entscheidung über die Verstärkung der Nato-Ostflanke soll auf dem Nato-Gipfel in Madrid vom 28. bis 30. Juni fallen.

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Plötzlicher Streit mit der Türkei

Ist die Verstärkung der Truppen vor allem auch eine finanzielle Frage, hat sich in den vergangenen Wochen unvermittelt ein diplomatisches Problem aufgetan. Die Türkei blockiert den Beitritt von Schweden und Finnland zur Nato. Ankara wirft beiden Ländern vor, „Terroristen“ insbesondere der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Unterschlupf zu gewähren. Am Wochenende hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg noch einmal versichert, dass beide nordischen Länder mit offenen Armen empfangen würden. Räumte allerdings dann auch ein, dass sich der Streit mit der Türkei noch einige Zeit hinziehen könnte. „Ich möchte, dass dieses Problem so schnell wie möglich gelöst wird“, sagte Stoltenberg am Sonntag in Finnland nach einem Treffen mit Präsident Sauli Niinistö.

Im Brüsseler Hauptquartier hofft man, dass bis zum großen Nato-Gipfel in Madrid der Weg für die Erweiterung freigemacht werden und die Einigkeit wiederhergestellt werden kann. Das sei allein schon aus dem Grund erstrebenswert, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin keinen Propaganda-Erfolg zu liefern.