Deutsche Landwirte, wie hier in Gotha, können wegen des Krieges in der Ukraine in Zukunft auch stillgelegte Flächen beackern. Foto: dpa/Martin Schutt

Wegen des Krieges in der Ukraine drohen innerhalb der EU Engpässe bei der Versorgung mit manchen Lebensmitteln. Die wirklichen Probleme haben allerdings viele Staaten Afrikas.

Plötzlich bricht Roman Leschtschenko das Gespräch ab. Mitten in der Video-Schalte mit den EU-Landwirtschaftsministern in Brüssel heulen in Kiew die Sirenen und der ukrainische Politiker muss in einen Luftschutzkeller. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Agrarminister allerdings schon die Zusage seiner Kollegen, dass die Europäische Union der durch den Krieg bedrohten Landwirtschaft in der Ukraine massiv unter die Arme greifen wird. Am Mittwoch wird die Kommission deswegen einen Notfallplan zur Lebensmittelsicherheit vorstellen, der vor allem auch dafür sorgen soll, dass es in der EU zu keinen Versorgungsengpässen kommt.

Ukraine ist die Kornkammer Europas

Die Sorge in Brüssel ist groß, denn die Ukraine gilt noch immer als die Kornkammer Europas. Wegen des Überfalls Russlands droht allerdings die Ernte in diesem Jahr praktisch auszufallen. Zudem machen Meldungen die Runde, dass russische Soldaten gezielt Produktionsstätten für Lebensmittel und Lager zerstören, also den drohenden Hunger bewusst als Waffe einsetzen. Bereits jetzt hat der Krieg die Preise für Öl, Weizen, Sojabohnen, Raps und Mais auf Rekordhöhen getrieben. Auch die Preise für Dünger und Treibstoff sind explodiert, was die Betriebskosten der Landwirte erheblich steigert.

Um die Ausfälle auszugleichen, wollen die EU-Landwirtschaftsminister die Lebensmittelproduktion in ihren Ländern anzukurbeln. In einem Notfallplan schlägt die Kommission vor, vorübergehend die Bewirtschaftung von Brachflächen zu erlauben. Nach der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik, die im Januar 2023 in Kraft tritt, müssen Betriebe mit einer Fläche von mehr als zehn Hektar mindestens vier Prozent unbewirtschaftet lassen, um die Artenvielfalt zu fördern. Auf diesen Flächen sollen nun vor allem Futterpflanzen wie Soja und Mais angebaut werden, um die Abhängigkeit von Importen aus der Ukraine zu verringern. Bislang kam mehr als die Hälfte des Maises in der EU aus der Ukraine.

Mehr Futterpflanzen aus Deutschland

Für Deutschland hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bereits angekündigt, dass Landwirte in diesem Jahr ausnahmsweise auch auf ökologischen Vorrangflächen Futterpflanzen anbauen dürfen. Als weitere Maßnahme will der Minister Eiweißfuttermittel wie etwa Soja vermehrt auch in Deutschland anbauen lassen.

Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Landwirtschaft im Europaparlaments warnt: „Die Situation in der Ukraine und Russland wird vermutlich zu Ernteknappheit bis mindestens in Jahr 2023 führen.“ Er rechnet vor, dass es in der EU weit über vier Millionen Hektar stillgelegte Flächen gebe, auf denen rund 25 Millionen Tonnen Getreide angebaut werden könnten. Allerdings bedauert er, dass der gezielte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiterhin nicht vorgesehen sei, mit dem der Ertrag noch weiter gesteigert werden könnte.

Umweltschützer fürchten niedere Standards

Umweltschützer fürchten allerdings, dass in den nächsten Monaten die Umweltstandards in der Landwirtschaft zurückgeschraubt werden könnten. „Die aktuellen Versuche, den Krieg in der Ukraine zu nutzen, um mit dem rhetorischen Schlagwort der Ernährungssicherheit die Ziele der Farm-to-Fork- und der Biodiversitäts-Strategie in Frage zu stellen, halte ich für vollkommen kurzsichtig“, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.

In dem Papier der EU wird allerdings wiederholt darauf hingewiesen, dass die allergrößten Probleme nicht in Europa, sondern in afrikanischen Ländern auftreten werden. Dort drohen wegen des Ernteausfalls in der Ukraine in den kommenden Monaten Hungersnöte. Staaten wie Ägypten, Eritrea oder Sudan haben kaum eigene Anbaumöglichkeiten und beziehen mehr als 70 Prozent ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. Die Kommission äußert die Befürchtung, dass es deswegen zu Unruhen in Afrika und dem Nahen Osten kommen könnte, was zu neuen Flüchtlingswellen führen würde. Aus diesem Grund will die EU diese Länder in den kommenden Monaten gezielt mit Finanzhilfen unterstützen.