Wirtschaftsminister Habeck betont, dass Sanktionen eine sehr genaue wirtschaftliche und politische Planung brauchen, damit sie wirken. Foto: dpa/Michael Kappeler

Die EU-Kommission will spätestens am Mittwoch einen Vorschlag für ein neues Paket mit Sanktionen präsentieren.

Europa zögert, doch ein Öl-Boykott gegen Russland rückt näher. Vor allem das Einlenken Deutschlands in der Frage hat den Weg für ein sechstes Sanktionspaket freigemacht. Die EU-Energieminister haben am Montag in Brüssel noch einmal über einen Einfuhrstopp von Öl beraten. Berlin hatte seinen Widerstand dagegen aufgegeben, nachdem der Anteil russischen Öls laut Wirtschaftsminister Robert Habeck auf fast zwölf Prozent gesunken ist. Bei dem Treffen wollen die Minister auch über die Versorgungssicherheit in der EU sprechen, nachdem Russland Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien gestoppt hatte.

Die EU plant das sechste Sanktionspaket

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen will nun spätestens am Mittwoch ihren Vorschlag für ein neues Paket mit Russland-Sanktionen präsentieren. Den Angaben zufolge soll das Paket auch weitere Strafmaßnahmen gegen Personen und Unternehmen umfassen. Genannt wird etwa die Sberbank, die größte russische Bank. Im Gespräch ist auch, die zivile nukleare Zusammenarbeit mit Russland einzuschränken. So bezog beispielsweise die Slowakei bis zuletzt noch russische Brennelemente für seine Atomreaktoren.

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Minister Habeck verteidigte in Brüssel die deutsche Regierung gegen den Vorwurf, zu langsam zu handeln. Am Rande des Treffens der EU-Energieminister erklärte er, dass man immer erst die notwendigen Schritte vorbereiten müsse, um „nicht beherrschbare Szenarien“ zu bekommen. „Wir haben das gemacht, andere Länder brauchen noch mehr Zeit.“ Auch betonte er erneut, dass die Sanktionen nicht ohne Nachteile für die eigene Wirtschaft bleiben werden. „Wir sind bereit, diesen Preis zu bezahlen“, unterstrich der Minister und rief in Erinnerung, dass reiche Länder wie Deutschland mit dieser Krise besser umgehen könnten als ärmere Staaten. Die gelte es dann zu unterstützen.

Geplant sind lange Übergangsfristen

Im Gegensatz zu den bisherigen Strafmaßnahmen wäre ein Stopp der Öllieferungen für einige europäische Staaten nur schwer zu verkraften. Aus diesem Grund wird bis zur letzten Minute auch über mögliche Übergangsfristen diskutiert. Ein Vorschlag könnten lauten, die Einfuhr russischen Öls noch bis Herbst oder sogar bis in den Winter zuzulassen. Die EU bezieht durchschnittlich noch rund ein Viertel ihres Öls aus Russland. Die Gemeinschaft hat Russland seit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar rund 20 Milliarden Euro für Öl bezahlt. Etwa die Hälfte der russischen Ausfuhren gehen in die EU.

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Heftiger Widerstand gegen ein Ölembargo kommt aus Ungarn. Seit Beginn des Krieges hat das Land alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen, lehnt aber etwa eigene Waffenlieferungen an die Ukraine aber strikt ab. „Die ungarische Haltung hinsichtlich eines Öl- und Gasembargos hat sich nicht geändert: Wir unterstützen dies nicht“, hieß es noch am Montag aus Budapest. Wie aus Diplomatenkreisen verlautet, könnten für Ungarn und auch die Slowakei aus diesem Grund großzügige Übergangsregelungen gefunden werden. Ein Stopp der Öllieferungen aus Russland könnte beide Länder vor größte Schwierigkeiten stellen.

Auch die USA zögern beim Öl-Embargo

Die Staaten der EU waren in Sachen Öl-Embargo zögerlich, weil auch die USA vor diesem Schritt gewarnt hatten. US-Finanzministerin Janet Yellen hatte erklärt, dass dies negativen Auswirkungen auf die weltweite Inflation haben könnte. Bei dieser Aussage spielt allerdings auch die US-Innenpolitik eine Rolle. Ende des Jahres finden in den USA wichtige Zwischenwahlen statt. Der demokratische Präsident Joe Biden will seine Anhänger offensichtlich weder mit rapide steigenden Preisen in den Supermärkten, noch an den Tankstellen verschrecken.

Aus diesem Grund wurde in den vergangenen Tagen zwischen Brüssel und Washington heftig diskutiert, wie die schwersten Folgen eines Ol-Embargos abgefedert werden könnten. Gleichzeitig wurden die diplomatischen Kanäle dafür genutzt, China und Indien davon zu überzeugen, nicht in die Bresche zu springen und Russland verstärkt Öl abzukaufen.

Putin könnte dem Westen das Gas abstellen

Über alledem schwebt die Möglichkeit, dass Präsident Wladimir Putin angesichts eines drohenden Öl-Stopps auch die in Europa sehr dringend benötigen Gaslieferungen nach Westen einstellt. Ökonomen weisen darauf hin, dass dies auch für Russland der wirtschaftliche Super-Gau wäre, doch waren zuletzt nicht alle Handlungen des Kremlherrschers wirklich rational zu erklären. Auch Habeck sagte in Brüssel, dass natürlich immer damit gerechnet werden müsse, dass der Kreml den Transit völlig stoppt.

Experten schlagen höhere Zölle vor

Experten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel haben in diesen Tagen eine weitere Möglichkeit ins Spiel gebracht, den Druck auf Russland wegen des Krieges in der Ukraine zu erhöhen. Sie raten statt eines kompletten Lieferstopps zu einem Importzoll auf russische Energie. „Die Argumente für einen Zoll sind stärker denn je“, erklärt der Wissenschaftler Simone Tagliapietra in einem aktuellen Beitrag in der Wissenschaftszeitschrift „Science“. Er schätzt, dass Russland pro Tag etwa eine Milliarde Dollar (950 000 Euro) an Energie-Exporten verdient. Bei Gas gehen demnach etwa 75 Prozent der Exporte an die EU, bei Öl etwa 50 Prozent. Den Brüsseler Experten zufolge kann Russland seine Exporte nicht ohne Weiteres an andere Handelspartner etwa in Asien verkaufen, da sie unter anderem durch feste Pipelines geliefert werden. „Die EU hat also eine echte Chance, sicherzustellen, dass die Zolleinnahmen größtenteils von Russland bezahlt werden“, erklären die Experten. Mit einem Zoll könnte man dem Text zufolge Russlands Profite verringern und gleichzeitig weiterhin Gas und Öl aus dem Land beziehen, um die Risiken für die europäische Wirtschaft zu reduzieren.