Von russischen Soldaten veröffentlichte Videos zeigen: In der Ukraine geht den russischen Besatzungstruppen, besonders der Artillerie, die Munition aus. Für Abhilfe soll ausgerechnet Nordkorea sorgen.
Irgendwann zwischen dem 10. und 13. September wollen sie sich in Wladiwostok treffen: Russlands Machthaber Wladimir Putin und sein nordkoreanisches Gegenüber, Kim Jong-un; so berichtet es die New York Times. Warum sich beide auch treffen wollen, offenbart jetzt ein Video, dass die russische 387. motorisierte Schützenbrigade vom Schlachtfeld rund um das kleine Dorf Robotyne aktuell in die sozialen Medien geladen hat.
Zu sehen ist der Chef einer Batterie von Lastwagen gezogener D-30-Haubitzen. Diesen verschießen in der Minute sechs bis acht Granaten des Kalibers 122 Millimeter bis zu 16,5 Kilometer, in einer Ausnahme bis zu 21 Kilometer weit. 1963 wurde die Kanone in die Streitkräfte der damaligen Sowjetunion eingeführt, sie ist heute eines der weltweit am weitesten verbreiteten Geschütze überhaupt. In dem Video gibt der Batteriechef den Befehl, ukrainische Infanteristen nahe der Ortschaft Verbowe im Osten von Robotyne zu bekämpfen.
Nach fünf statt 90 Granaten schweigen die Geschütze
Eine Drohne filmt den ersten Schuss, mit dem die Feuerleitoffiziere feststellen, ob die Haubitzen mit den richtigen Daten auf das Ziel eingerichtet ist. In diesem Fall folgt ein zweiter Schuss, der gut 200 Meter tiefer vom Ziel einschlägt. Normalerweise würden die Feuerleiter jetzt neue Richtdaten errechnen, die an den sechs Geschützen der Einheit eingestellt werden müssten. Dann würde die Haubitzen gemeinsam auf das Ziel schießen – in diesem Fall zwischen zehn und 15 Granaten pro Geschütz, also 60 bis 90 Sprengkörper. In diesem Fall aber lässt der Batteriechef drei Geschütze nochmals je eine Granate verschießen – und meldet das Ziel als bekämpft. Die russische Artillerie hat sich auf das sogenannte Wirkungsschießen vorbereitet, das Ziel „eingegabelt“, wie es in der Fachsprache heißt. Schießt dann aber nicht. Obwohl die Drohne überträgt, dass sich die ukrainischen Fallschirmjäger der 82. Luftlandebrigade weiterhin unbeirrt bewegen.
Das Video ist nicht das einzige, dass russische Soldaten in die Öffentlichkeit bringen – und die alle eines belegen: Es herrscht ein gravierender Mangel gerade an Artilleriemunition und Ersatzteilen besonders bei älteren Kampf- und Schützenpanzern in den russischen Streitkräften. Während die Nachschublager Russlands leer sind, sind sie in Nordkorea prall gefüllt. Von den 9200 Artilleriegeschützen Nordkoreas sollen 400 Haubitzen D-30 nach Einschätzung der Fachzeitschrift Military Balance sein. Hinzu kommen etwa 150 Geschütze des gleichen Typs, die im Land selbst nachgebaut wurden. Sowie Munition, die selbst für die D-30 selbst entwickelt wurde. In Fachliteratur berichten Autoren alleine übereinstimmend für das 122-Millimeter-Kaliber von einer Anzahl zwischen fünf und acht Millionen Schuss. Insgesamt dürfte etwa 70 Prozent der koreanischen Artillerie aus Russland stammen.
Panzer aus den 1950er Jahren – begehrte Ersatzteillieferanten
Es ist nicht das einzige russische Militärgerät im Besitz der selbst ernannten Volksarmee Koreas: Etwa 3520 der insgesamt 4200 Kampfpanzer stammen aus Russland. Die Typen T-34, T-54, T-55 wurden bereits im 2. Weltkrieg und im Koreakrieg 1953 eingesetzt. Die Typen T-62, T-64 und T-72 stammen aus den 1960er Jahren. Auch die meisten der 2200 Schützen- und Transportpanzer lieferte Russland: 1260 Fahrzeuge; die Modelle BMP-1, BTR-60 und -80.
Die Idee für den für kommende Woche geplanten Russland-Besuch Kims entstand im Juli bei einer Reise des russischen Verteidigungsministers nach Nordkorea. Sergej Kuschugetowitsch Schoigu besuchte die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des „Sieges über die südkoreanischen und US-amerikanischen Streitkräfte“ im Koreakrieg. Der endete in Wirklichkeit nach drei Jahren 1953 in einer Pattsituation und mit einem Waffenstillstandsabkommen – offiziell befinden sich Nord- und Südkorea sogar immer noch im Krieg. Während des Treffens im Sommer bot Kim offenbar Russland Unterstützung für dessen Angriffskrieg in der Ukraine an.
Nahrungsmittel für Munition und Ersatzteile
Erst im Juni berichteten etliche Hilfsorganisationen, dass Nordkorea eine Hungerkatastrophe droht. Eine Kombination aus Dürre, Überschwemmungen und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie habe zu dramatischen Ernteausfällen geführt. Aktuell erwarten die Analysten eine Ernte von 4,4 bis 4,8 Millionen Tonnen Reis und Getreide. 5,5 Millionen Tonnen wären notwendig, um alle Nordkoreaner zu ernähren.
Deshalb – so wird in Denkfabriken im Westen spekuliert – dürfte Putin wohl Nahrungsmittel gegen Munition und Ersatzteile für seine Besatzungsarmee in der Ukraine tauschen. Dort warten auch die russischen Kanoniere der 387. motorisierte Schützenbrigade händeringend auf neue Munition – aus Nordkorea.