Die Stadt Kornwestheim hat die Stadionhalle für Menschen aus der Ukraine vier Wochen lang hergerichtet. Foto: Stadt Kornwestheim

Die Aufnahme von Menschen aus der Ukraine stellt die Kommunen vor große Probleme. Doch nicht nur die Unterbringung an sich ist eine Herausforderung. Was können die Kommunen überhaupt tun?

In den Fernsehnachrichten war er zu sehen, in Talkshows und in Magazinbeiträgen. Landrat Dietmar Allgaier (CDU) ist es in diesen Tagen ein Anliegen, sich bei Bund und Land Gehör zu verschaffen. Seine Botschaft: Beim Unterbringen von geflüchteten Menschen stoßen die Kommunen des Kreises Ludwigsburg mittlerweile an ihre Grenzen. Er kritisiert die Bundesregierung scharf. „Wir fühlen uns alleine gelassen“, sagt er.

Auch Ursula Keck, die Oberbürgermeisterin von Kornwestheim, schlägt Alarm. Um auf die Brisanz der schon jetzt prekären Lage aufmerksam zu machen, hatte sie für Freitag zu einem Pressegespräch eingeladen. „Spätestens bis zum Jahresende sind unsere Kapazitäten aufgebraucht“, betonte sie. 353 geflüchtete Personen aus der Ukraine hat die Stadt seit Beginn des Angriffskrieges aufgenommen. Die meisten von ihnen, 211 Menschen, kamen im privaten Wohnraum unter. 142 Personen sind städtischen Unterkünften zugeteilt worden.

Reserven sind bis zum Jahresende ausgereizt

Im Monat Oktober muss die Stadt weitere 86 Menschen aufnehmen. Damit wird es unvermeidbar, die Geflüchteten in Hallen einzuquartieren. Vier Wochen lang hat die Stadt die Stadionhalle mit Spanplatten, Feldbetten, Sichtschutzwänden und -folien vorbereitet. Auf den 1400 Quadratmetern ist somit Platz für 168 Menschen geschaffen worden. Die ersten 35 Personen sollen am kommenden Mittwoch einziehen, weitere 35 Anfang November.

Doch auch mit diesen neu geschaffenen Plätzen sind die Reserven von Kornwestheim bald ausgereizt. „Die Verteilung der Geflüchteten über den Königsteiner Schlüssel ist ein Fehler“, kritisiert Keck. In einem Ballungsraum wie der Region Stuttgart sei es schwierig, genügend Wohnraum zu finden. „Die Wohnungsnot birgt sozialen Sprengstoff“, sagt die Oberbürgermeisterin. Sie hält es für sinnvoller, die geflüchteten Menschen dorthin zu verteilen, wo es mehr Leerstände gibt.

Mittelfristige Perspektiven sind gefragt

Zumal es mit dem Aufstellen von Feldbetten noch längst nicht getan ist, wie Keck betont. Nach ihrer Ansicht muss mittel- bis langfristig geplant werden. Sie hält es für unwahrscheinlich, dass der Krieg bald vorbei ist und viele Geflüchtete schnell in ihre Heimat zurückkehren könnten. Sprache, Bildung, Beruf: Das sind für sie die Eckpfeiler. Es mache durchaus einen Unterschied, ob 300 oder 900 Personen in kurzer Zeit integriert werden sollen. „Diese Aufgabe lässt sich nicht beliebig vervielfachen“, sagt die Oberbürgermeisterin.

Nach Meinung von Ursula Keck würde sich die Situation entspannen, wenn die Bundesregierung den Anreiz abschaffen würde, die Geflüchteten aus der Ukraine mit EU-Bürgern gleichzustellen. Die Aussicht auf bessere Sozialleistungen locke viele nach Deutschland.

Situation könnte außer Kontrolle geraten

Apropos Geld: Selbst wenn im kommenden Jahr keine weiteren zusätzlichen Personen in Kornwestheim aufgenommen werden müssten, rechnet die Stadt für die weitere Unterbringung und Versorgung der bis dahin angekommenen Geflüchteten mit Kosten von rund fünf Millionen Euro innerhalb von zwei Jahren. Die Frage, wer die finanziellen Lasten letztendlich tragen wird, müsse geklärt werden, fordert Keck.

Ähnlich argumentiert Jan Trost, der Bürgermeister von Marbach. Er fordert ebenfalls die Abschaffung des Königsteiner Verteilschlüssels. Auch in der Schillerstadt sind die Kapazitäten bald ausgeschöpft. Bisher mussten noch keine Hallen genutzt werden. Wenn der Strom an flüchtenden Menschen nicht weniger wird, wird das aber unumgänglich. Bei Zuweisungen in einer ähnlichen Höhe wie momentan wäre das zum Jahresende der Fall. Dann werden die geflüchteten Personen in der Stadionhalle untergebracht. „Die Situation in den Kommunen gerät außer Kontrolle und gefährdet den sozialen Frieden“, meint Trost. Leidtragende seien erneut die Vereine.

Ungleichgewicht zulasten der Kommunen

Die Stadt Ludwigsburg muss noch nicht auf Hallen ausweichen. „Wir arbeiten täglich daran, dass das so bleibt. Die Kapazitäten reichen aktuell noch“, sagt Oberbürgermeister Matthias Knecht. Auch er ist jedoch der Meinung, dass das bisherige Verteilsystem umgedacht werden muss. Und: Die Frage der Finanzierung müsse diskutiert werden. „Um die Arbeit gut zu machen, legt Ludwigsburg – so wie alle Städte – aktuell drauf. Das kann nicht sein“, meint er. Es herrsche ein Ungleichgewicht zulasten der Kommunen.

Dass die Städte und Gemeinden im Kreis alles tun, um die Geflüchteten gut unterzubringen und zu integrieren, betont der Landrat. „Wir helfen, wo wir können“, sagt er. In Berlin müsse jedoch erkannt werden, dass die Aufnahme weiterer Menschen in der Region nicht mehr leistbar sei. Wenn es so weitergehe, befürchtet Allgaier, müsste bald auf Schulhallen ausgewichen werden. „Das kann doch gesamtgesellschaftlich nicht das Ziel sein“, moniert er. In der kommende Woche möchte er eine eindringliche Bitte an Ministerpräsident Winfried Kretschmann richten.