Frederik Rabe lieferte mit seiner Band Giant Rooks einen Abend voller großer Emotionen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Indie-Band Giant Rooks hat endlich ihr Nachholkonzert in der Stuttgarter Liederhalle gegeben. In 90 Minuten zeigten die Musiker unmissverständlich, warum sich nach ihnen gerade jeder die Finger leckt.

Pathos und Emotion haben in der Popmusik ihren festen Platz. Ohne sie kommt ein Harry Styles nicht aus, auch Indie-Giganten wie Arcade Fire zapfen gern die ganz großen Gefühle an. Wenn diese beiden Welten zusammenkommen, entsteht dabei ein ähnlich erhabener, monumentaler Sound wie der von den Giant Rooks, den neuen Hymnenschreibern von Indie-Deutschland.

Groß ist die Musik der Giant Rooks, ausladend und cinematisch. Ein Klangozean aus monumentaler Breite und ahnungsvoller Melancholie. Er flutet die Liederhalle und nimmt den gut gefüllten Beethovensaal mit den ersten Takten des Openers „The Birth of Worlds“ mit. Ein langsames, verträumtes Stück, mehr Hymne als Popsong, mit verhallenden Gitarren und tropfenden Synthesizern.

Musik, die gleichzeitig alt und jung klingt

Dazu natürlich die besondere Stimme von Frederik Rabe. Der schafft es mit Mitte 20 irgendwie, gleichzeitig alt und jung, verletzlich und stark zu klingen. Die Musik seiner Band auch. Aus Indie-Tugenden von Vorbildern wie Arcade Fire gießen die fünf jungen Männer aus Hamm einen breiten, internationalen Sound. Poppig und episch, ja, aber auch voll von schillernder Raffinesse.

Wie gut das den Zeitgeist trifft, zeigt sich derzeit an allem, was die Giant Rooks tun. Und natürlich an diesem Abend: Hunderte vornehmlich junge Menschen drängen sich vor der Bühne, der Lautstärkepegel des Publikums beim Erlöschen der Saallichter erinnert an Teenie-Phänomene.

Von der Schule zu Universal

Ein Phänomen sind die Giant Rooks auch. Aber keines aus der Retorte. 2014 als Schülerband gegründet, kann man 2016 schon mit Kraftklub spielen, wird 2017 vom Branchenriesen Universal unter Vertrag genommen und auf ihre erste Headliner-Tour geschickt. Da hatten sie noch nicht mal ihre erste Platte veröffentlicht. 2018 der unvermeidliche Umzug nach Berlin, Ende 2021 dann das Duett „Der letzte Song (Alles wird gut)“ von Frederik Rabe und Felix Kummer, das direkt auf die Eins in die Charts geht.

Man könnte es auch kurz machen und sagen: Hier war endlich mal wieder eine deutsche Band, die Plattenbosse und Publikum zu gleichen Teilen sehr glücklich macht. Fünf talentierte junge Männer, ein charismatischer, hübscher Sänger mit dem gewissen Etwas in den Stimmbändern und Musik für die ganz großen Emotionen und Momente. Schillernd, elegant, bittersüß.

Das Wilde muss der Planbarkeit weichen

Im Coronasommer 2020 kommt endlich ihr Debüt „Rookery“. Und wenn man dem Album eines vorwerfen möchte, dann, dass es zu perfekt ist. Keine Sekunde darauf wird dem Zufall überlassen, alles ist sorgsam durchgetaktet und wie mit einem ausgereiften Businessplan entwickelt. Das überträgt sich auch auf ihre Show in der Liederhalle: Die wilde Seite des Indie, die Freiheit und das Spontane sucht man hier vergebens. Stattdessen gibt es eine perfekt durchchoreografierte Show mit großen, raumfüllenden Gesten und 90 Minuten von dieser emporstrebenden, epischen Musik.

Aber meinen die Herren Musiker es deswegen weniger ernst? Mitnichten! Giant Rooks schreiben den Soundtrack für sehr viele junge Menschen. Ihre Songs laufen beim ersten gebrochenen Herzen, beim Umzug in eine neue Stadt, bei Abschieden, Schmetterlingen im Bauch, bei der ersten weiten Reise mit den besten Freunden. Das Publikum singt fast jeden Song Wort für Wort mit. Und das nicht zum ersten Mal. Man denkt an Tocotronic und möchte einen Abend lang ebenfalls Teil einer Jugendbewegung sein.

Es gibt natürlich viel Material von „Rookery“, darunter gegen Ende mit „Misinterpretations“ ihren bisherigen Geniestreich, ein wogender, zunächst zurückhaltender und dann immer wuchtiger werdender Song. Jubel brandet auf, als sich Frederik Rabe ans Piano setzt, spätestens jetzt transzendiert er seine Rolle als Frontmann einer deutschen Indie-Band, wird zu einer Figur wie Harry Styles.

Deutsch ist an dieser Band eh überhaupt nichts. Ihr Sound ist international, ihre Themen universell, die Palmen, die in den zurückhaltenden, aber geschmackvollen Visuals an uns vorbeirauschen, wispern eher von den Verheißungen Kaliforniens als von den Grünstreifen des Ruhrgebiets.

Das ist auch ihrem Tourneeplan anzumerken. Nach ihrem Stopp in Stuttgart folgen noch einige weitere Deutschlandtermine. Danach geht es auf Headliner-Tour durch die USA. Die meisten Shows sind bereits ausverkauft.