Mit einem kleinen Taschenmesser ritzt Oliver Gaiser die Rinde an. Im Idealfall ist der Stamm darunter hart und nicht zu trocken. Foto:  

Der Sachverständige Oliver Gaiser überprüft im Schlossgarten rund 1000 Bäume.

Stuttgart-Ost - Immer wieder holt Oliver Gaiser beherzt aus. Mit einem Gummihammer schlägt er im Schlossgarten gegen den Stamm einer 150 Jahre alten Platane. Rundherum und in verschiedenen Höhen. Anschließend geht er in die Knie, holt ein kleines Messer aus seiner Tasche und ritzt mit der Klinge an verschiedenen Stellen die Rinde ein, schaut ob der Stamm darunter feucht oder trocken, sprich in manchen Bereichen abgestorben ist.

Regelmäßig bleiben beunruhigte Spaziergänger in der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Allee stehen, beobachten, was der 46-Jährige so treibt. „Muss die Platane gefällt werden? Die ist doch noch gut“, bekommt er dann ab und an zu hören. Die Sorge ist jedoch unbegründet. Oliver Gaiser ist Baumsachverständiger und nimmt im Auftrag der Wilhelma, die die Pflege der Parkanlage für das Land übernimmt, derzeit rund 1000 Bäume im Schlossgarten unter die Lupe – 60 pro Tag. Eine Kontrolle, die einmal im Jahr durchgeführt wird.

„Mein Ziel ist, mir ein Bild vom Zustand des Holzes zu machen. In erster Linie geht es darum, die Verkehrssicherheit der Bäume zu überprüfen – mit dem Fokus auf der Erhaltung der Bäume.“ Geschädigte Bäume müssen jedoch nicht unbedingt gefällt werden. „Es gibt auch noch Zwischenstufen.“ Ragt ein abgestorbener Ast beispielsweise über einen Spielplatz, müsse er auf jeden Fall entfernt werden. „Da darf nichts passieren“, so der studierte Forstwissenschaftler, der sich große Teile seines Wissens nicht im Studium angeeignet hat. „Das meiste habe ich in einem Hamburger Baumsachverständigenbüro gelernt. Dort habe ich von 2004 bis 2014 gearbeitet.“ Irgendwann hatte er jedoch genug vom norddeutschen Klima, zog wieder in seine Heimat – nach Weinstadt – zurück und machte sich selbstständig.

Nachpflanzungen schwierig

Aufgrund seines erstellten Gutachtens könnte er für einen entstandenen Schaden sogar in Regress genommen werden. „Und dennoch muss nicht immer gleich die Kettensäge angesetzt werden, wenn eine Platane komplett tot ist. Schließlich dient sie Tieren wie Vögeln, Fledermäusen und Insekten als Lebensraum.“ Statt sie zu fällen, könne sie so gekürzt werden, dass sie nicht mehr im Wind steht und keine Gefahr darstelle. Darüber hinaus seien Nachpflanzungen in der „wirklich imposanten Allee“, so Gaiser, nicht immer leicht, weil die Lücken zu klein wären. „Junge Bäume bekommen dort zu wenig Licht.“

Die gute Nachricht: Der Zustand der Platanen im Schlossgarten „ist dem Alter entsprechend gut“, sagt der Diplom-Ingenieur, während er erneut mit dem Hammer ausholt. Das Geräusch, das beim Aufprall des Gummikopfes auf den Stamm erzeugt wird, verrät dem Experten, ob der Baum hohl ist. Im Idealfall klingt er möglichst an allen Stellen gleich. Größere Unterschiede und ein dumpfer Ton deuten auf Hohlräume im Stamm hin, die oft auf einen holzzerstörenden Pilz zurückzuführen sind. Unter anderem auf den Brandkrustenpilz, der eher unscheinbar sei und häufig übersehen werde. „Wenn er an der Rinde zum Vorschein kommt, halten ihn Laien oft für Dreck.“ Er könne jedoch auch die Wurzeln schädigen. „Man kann gegen ihn zwar nicht wirklich etwas machen, ein betroffener Baum müsse aber dennoch nicht sofort gefällt werden, wenn der Pilz entdeckt wird.“ Schließlich baue er den Organismus nur langsam ab.

„Einen exakten Aufschluss, wie weit ein Befall schon fortgeschritten ist, kann eine Schalltomografie bringen“, sagt Gaiser. Mithilfe von Sensoren wird die Geschwindigkeit des Schalls im Stamm gemessen, dadurch kann sich der Sachverständige ein Bild des Querschnitts machen und Rückschlüsse auf Höhlungen und Fäule ziehen. Ob der Baum noch ausreichend verwurzelt ist, könne zudem mit einem Zugversuch ermittelt werden.

Massaria-Pilz nimmt zu

Aufgrund des Klimawandels bekommt Gaiser es auch immer häufiger mit der Massaria-Krankheit zu tun, die vor allem ältere Platanen – die Bäume können über 300 Jahre alt und bis zu 45 Meter hoch werden – befällt. „Viele von ihnen haben Trockenstress.“ Der Pilz sorge für eine deutliche Zunahme der Totholz-Bildung und von Astabbrüchen. Dabei würden auch dicke Äste nicht verschont.

Gaiser nimmt die Platanen im Schlossgarten vorerst ausschließlich mit Hammer und Messer unter die Lupe, über weitere Maßnahmen entscheidet dann sein Auftraggeber, die Wilhelma. Damit man bei so vielen Bäumen nicht den Überblick verliert, hat jeder Einzelne eine Nummer, die auf einer kleinen Metallplatte in rund zweieinhalb Metern Höhe zu finden ist. Wie beim TÜV arbeitet er an jedem Baum eine Checkliste ab, untersucht zunächst die Wurzel und den Stamm. Vor allem auf v-förmige Gabelungen wirft er ein Auge: Sind sie eingerissen, droht ein Astbruch. Anschließend läuft er mit einigem Abstand um die Bäume, begutachtet die Krone und trägt die gesammelten Daten auf seinem Tablet in eine App ein. Dort sind auch die Einträge der Kontrollen aus den Vorjahren zu sehen – somit werden auch Veränderungen übersichtlich dokumentiert.

Kunststoff statt Stahl

Bei seinem Rundgang entdeckt der 46-Jährige in einigen Stämmen auch alte Metallstangen. Von der „Baumchirurgie“, so der Fachmann, sei man schon vor Jahren weggekommen. „Ebenso werden Kronen nicht mehr mit Stahlseilen gesichert. Stattdessen wird auf Kunststoffseile gesetzt. Sie können verletzungsfrei eingebaut werden, im Gegensatz zur alten Kronenverankerung, die durch Stamm oder Ast gebohrt wurde.“ Der Vorteil: „Äste können sich bewegen, werden aber bei Lastspitzen, also während Stürmen, unterstützt“, so Gaiser, der zugibt, auch in seiner Freizeit nur schwer abschalten zu können. „Ich begutachte auch bei einem Spaziergang die Bäume“, gibt er offen zu. „Um meine Begleitung nicht zu nerven, behalte ich das aber meistens für mich“, sagt er mit einem Schmunzeln.