Familienleben ist heute oft von morgens bis abends durchgetaktet – davon gibt jetzt eine Zwangspause. Eigentlich schön, oder? Foto: Welzhofer

Endlich sehr viel Zeit zum Vorlesen, Brettspiele spielen, Puzzle legen und Kuscheln – die Schließung von Kitas und Schulen macht’s möglich. Warum sich unsere Kolumnistin darauf freut, und gleichzeitig ein bisschen Angst davor hat.

Stuttgart - Ich gebe es zu: Jedes Jahr, wenn die drei Wochen Kita-Sommerferien vorbei sind, bin ich gleichzeitig traurig und auch ein bisschen froh. Die Zeit zu viert ist unheimlich schön, aber eben auch unheimlich anstrengend. Man wächst zusammen, lernt sich noch besser kennen und geht sich gerade deshalb bisweilen ziemlich auf die Nerven. Aber vielleicht ist es ja gerade diese Gleichzeitigkeit widersprüchlichen Gefühlslagen, die Elternsein in seinem Kern ausmacht.

Nun liegen fünf Wochen mehr oder weniger ständiges Zusammensein vor Familien, vor allem, wenn man kleine Kinder hat. Schul- und Kitaschließungen machen’s möglich. Wobei das natürlich keine Ferien sind. Was zum einen an der Corona-Bedrohung liegt und der gefühlten Unvorhersehbarkeit ihrer Folgen. Aber auch daran, dass Mütter und Väter versuchen müssen, nebenbei und zwischendurch noch zu arbeiten, während die Großeltern als Babysitter ausfallen. Und auch sonst sämtliche Freizeitaktivitäten (Fußballtraining, Musikunterricht, Schwimmkurs) gestrichen sind.

Ein bisschen wie Ferien ohne jedes Ziel

Vielleicht ist die Zeit, die jetzt vor uns liegt, ein bisschen wie Ferien früher mal waren, also wie Ferien ohne jeglichen Plan, ohne jedes Ziel. Und vielleicht ist gerade das ja das Schöne und Schreckliche oder einfach nur gänzlich Ungewohnte daran.

Familienleben ist heute oft von morgens bis abends durchgetaktet. Ein Miteinander, geregelt im digitalen Kalender zwischen Stundenplänen, Arbeitszeiten, Dienstreisen und vielen vielen Hobbys. Wer bringt wann welches Kind wohin und holt es wieder ab. Wer besorgt nach der Arbeit noch eine neue Matschhose und sorgt für Brotnachschub? Kann der Babysitter einspringen, wenn Mama länger arbeiten muss und Papa gleichzeitig einen wichtigen Termin hat? Und was können wir am Wochenende unternehmen, damit uns nur nicht langweilig wird?

Anstatt zu reden, wird organisiert. Statt gemeinsam Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen, ist das eine Kind in der musikalischen Früherziehung, während das andere zum Fußballtraining muss. Ein bisschen verrückt, oder? Und nun fällt all das erst mal weg. Eigentlich doch schön, oder?

Das Experiment kostete die ein oder andere Ehe

Vor vielen Jahren, als ich noch Studentin war, zeigte ein Professor in einem Seminar einen Dokumentarfilm über ein soziologisches Experiment aus den noch internetfreien 70er Jahren. Dabei erklärten sich mehrere Familien bereit, einige Monate lang ohne Fernseher zu leben. Die Folgen waren erstaunlich. Ohne die Möglichkeit permanenter Zerstreuung mussten Ehepaare plötzlich wieder miteinander und mit ihren Kindern reden und Zeit verbringen. Viele fanden das eine gute Erfahrung. Viele stellten fest, dass sie sich über den Alltag und das Fernsehprogramm irgendwie aus den Augen verloren hatten – und sahen sich nun plötzlich wieder. Aber ich erinnere mich auch an eine weinende Studienteilnehmerin, die nichts mehr mit sich anzufangen wusste. Und tatsächlich kostete das Experiment auch die ein oder andere Ehe.

Als die Landesregierung nun beschlossen hat, Kitas und Schulen zu schließen, musste ich an diesen Film denken. Weniger wegen des Fernsehers, der uns ja bleibt, aber den wir als gute Eltern natürlich nur dosiert einsetzen werden. Sondern eher wegen der vielen gemeinsamen Stunden, die wir jetzt zusammen haben und von der ich wirklich nicht weiß, was sie mit uns machen werden – und wir mit ihnen.

All die verstaubten Brettspiele

Ich versuche gerade, diese Zwangspause als Chance zu sehen, wobei es mir hilft zu wissen, dass es um uns herum ein Kindergarten-Elternnetzwerk gibt, in dem wir uns gegenseitig bei der Betreuung helfen werden. Als Familie können wir nun endlich Dinge tun, für die oft die Zeit nicht reicht. Zum Beispiel all die Brettspiele spielen, die auf dem Regal verstauben, oder die ungelegten Puzzles angehen. Wir können das Bücherregal leerlesen und Ostereier anmalen – ohne auf die Uhr zu sehen. Oder in den Wald gehen, wenn wir doch mal Lagerkoller bekommen.

Wir können uns unterhalten, Quatsch machen, auf dem Sofa fläzen und Hörspiele hören – ohne Angst zu haben, anderswo etwas zu verpassen. Und natürlich können wir uns auch ausgiebig in die Wolle bekommen und auf die Nerven gehen. Aber auch das gehört zum Familiesein dazu.

Letztendlich ist diese Zwangspause doch geschenkte Zeit, auch dafür, darüber nachzudenken und auszutesten, ob all die Termine und Kurse und Verabredungen eigentlich sein müssen. Oder ob sie nicht manchmal vor allem ein Ausflucht sind, sich einander nicht stellen zu müssen.

Ich bin wirklich sehr gespannt.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.