So eine Rotznase ist mittlerweile mit ganz schön viel Bedeutung aufgeladen. Foto: /wel

Beim ersten Erkältungssymptom dürfen die Kinder nicht in die Kita. Wenn das so bleibt, könnten die Einrichtungen ab Herbst ziemlich leer sein und Familien wieder dauerhaft zuhause, meint unsere Kolumnistin.

Stuttgart - Der Sohn (6) muss derzeit öfter mal niesen. Er hat Heuschnupfen, trotzdem werde ich jedes Mal ein bisschen panisch. Es könnte ja vielleicht doch eine Erkältung sein. Natürlich wünsche ich meinen Kindern auch in normalen Zeiten keine Krankheiten an, oder vielmehr in den Hals, aber seit wir Mitspieler in einem Pandemiegeschehen sind, ist so eine Rotznase ja mit ziemlich viel Bedeutung aufgeladen.

Zum einen, weil sie natürlich der Beginn einer Corona-Erkrankung sein könnte. Zum anderen, weil jeder harmlose Schnupfen uns zurückkatapultiert in sehr sehr anstrengende Zeiten: Mit Erkältungssymptomen dürfen die Kinder derzeit nicht in die Kitas und Schulen gehen. Der Kraftakt aus Homeoffice, Homeschooling und Homebetreuung beginnt von vorn – auf unbestimmte Zeit. Denn so ein laufende Nase kann sich ziemlich hartnäckig halten. In seinen ersten beiden Kitajahren lief die unseres Sohnes im Grunde ohne Pause durch. „Rotznasen sind bei Kindern kein Symptom, sie sind ein Zustand“, sagte kürzlich ein Kinderarzt zu mir.

Ein Kind darf mit Asthma nicht in die Kita

Kein Wunder, dass ich ziemlich Angst vor dem Herbst habe. Der Bub soll dann eingeschult werden, die Tochter (3) ist dann immer noch Kindergartenkind. Sechs bis acht Infekte machen Kitakinder durchschnittlich in einer Erkältungssaison durch. Klar, ein krankes Kind mit Fieber haben wir auch vor Corona nicht in die Einrichtung gebracht. Aber wenn das Fieber weg und das Kind wieder fit war, durfte es auch mit ein bisschen Rest-Husten und -Schnupfen wieder in seine Gruppe zurück. Wenn die Regeln so bleiben, ist das in den kommenden Monaten nicht mehr möglich. „Im Grunde kann man die Kitas und Grundschulen dann den ganzen Winter über zusperren“, sagte der erwähnte Kinderarzt.

Ich verstehe schon, dass die Einrichtungen derzeit streng sein müssen. Sie versuchen auch nur das umzusetzen, was die Politik ihnen vorgibt. Die wiederum will eine zweite Infektionswelle verhindern, was auch gut so ist. In der Praxis führt das aber zu vielen absurden Situationen in Kinderarztpraxen und Kindergärten: Da soll ein Arzt bescheinigen, dass ein kleiner Patient mit 37,2 Grad Körpertemperatur kein Corona hat, weil die Kita nur Kinder mit maximal 37 Grad in ihre Räume lässt. Eine Mutter erzählt, dass ihr Kind mit Husten nicht in seine Kita darf, obwohl sie mit einem Attest belegen kann, dass es Asthma hat. Und eine andere muss ihren Sohn mit laufender Nase abholen, obwohl er am Tag zuvor negativ auf Covid-19 getestet wurde.

Warum sind Kitas und Schulen nicht systemrelevant

Ich finde es deshalb gut, dass die Initiative „Eltern in der Krise“ von der Politik fordert, jetzt schon an die Erkältungszeit in ein paar Monaten zu denken und daran, wie sie damit umgehen will. Und auch die Frage zu klären, was passiert, wenn eine zweite Infektionswelle anrollt: „Warum werden Kitas und Schulen nicht endlich als das angesehen, was sie sind? Nämlich als äußerst systemrelevante Einrichtungen, die wir nur im allergrößten Notfall schließen sollten!“ So steht es in den Forderungen der deutschlandweiten Initiative dazu.

Außerdem gefällt mir die Einstellung vieler Kinderärzte gut, die sagen, man müsse das Recht der Kinder auf Bildung und Kontakte zu Gleichaltrigen über die Gefahr stellen, dass sie sich anstecken könnten – zumal sie selbst fast nie schlimme Symptome entwickeln und laut Studien auch keine Treiber der Infektion sind.

Aber egal, wie familienfreundlich die Corona-Maßnahmen in Zukunft sein werden, in mein Bewusstsein schleicht sich ganz langsam die Erkenntnis ein, dass Corona alle Pläne sehr schnell wieder durchkreuzen kann. Wird mein Sohn im Herbst tatsächlich eingeschult, also so richtig und nicht nur auf Zoom? Wird die Tochter (3) den halben Winter mit Erkältungen zuhause sitzen? Werde ich in absehbarer Zeit wieder mein Homeoffice verlassen können und mich im Büro mit Kollegen austauschen? Können wir nächstes Frühjahr mit dem Flugzeug meinen Vater besuchen, der im Ausland wohnt? Werde ich je wieder ohne Corona-Ängste meine 93-jährige Großmutter treffen können? Diese Fragen kann mir niemand sicher beantworten. Das Leben mit dem Virus, es ist in Teilen eben vollkommen unplanbar.

Nur gut, dass Corona mich eine gewisse Gelassenheit gelehrt hat und ein Vertrauen darauf, was wir als Familie leisten können: Wenn der Sohn morgens niest, bin ich zwar erst mal kurz panisch. Aber dann denke ich: Das werden wir jetzt auch noch irgendwie überstehen.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Lisa Welzhofer ist Autorin der Stuttgarter Nachrichten und Mutter zweier Kinder (6 und 3 Jahre alt). In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Familie und übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.