Nicht nur an Ostern verbringen Eltern und Kinder jetzt viel Zeit zuhause im Nest. Foto: privat/wel

Normalerweise verbringt unsere Kolumnistin die meiste Zeit des Tages getrennt von ihren Kindern. Bislang hat sie dieses Modell überhaupt nicht hinterfragt. Seit sie in der Coronakrise täglich fast rund um die Uhr mit Sohn und Tochter zusammen ist, findet sie es auf einmal merkwürdig – oder zumindest bemerkenswert.

Stuttgart - Ich habe noch nie so viel Zeit am Stück mit meinen Kindern verbracht wie in den letzten vier Wochen. Also mit jedem einzelnen von ihnen schon, nämlich jeweils in dem gut einen Jahr Elternzeit nach ihrer Geburt. Aber mit beiden gleichzeitig eben noch nie. Die längste Zeit des Zusammenseins waren immer die drei Wochen Kitaferien im Sommer. Aber mit Ferien hat das momentan ja nun wirklich nichts zu tun.

Tatsächlich ist es so, dass der Mann, die Kinder und ich in normalen Zeiten – oder dem, was wir bislang dafür hielten – den Großteil des Tages getrennt voneinander verbringen. Wenn man die Nächte, in denen irgendwann meist alle in einem Bett landen, nicht miteinrechnet. Der Sohn (6) und die Tochter (fast 3) gehen etwa sieben Stunden täglich in Krippe und Kindergarten, der Mann und ich arbeiten derweil. Auch nach der Kita geht zumindest der Ältere oft seine eigenen Wege, zum Beispiel im Fußballtraining oder im Schwimmkurs.

Wenn man noch die Zeit abzieht, in der wir die Kinder eigentlich nur dazu antreiben, sich endlich die Zähne zu putzen und sich wahlweise für die Kita anzuziehen oder bettfertig zu machen, dann bleiben unterm Strich vielleicht ein, zwei Stunden, in denen wir Zeit füreinander haben. Zeit zum Reden, gemeinsam Essen, sich umarmen, Uno spielen.

Das eigene Leben aus der Metaebene betrachtet

Ich habe dieses Modell bislang nicht hinterfragt, was sicherlich auch daran liegt, dass es fast alle um mich herum ungefähr so in der Art leben. Aber auf einmal finde ich es ein bisschen merkwürdige – oder zumindest bemerkenswert. Es ist nicht so, dass es mir nicht mehr gefällt, aber drüber nachdenken muss ich eben schon. Oder anders gesagt: Vielleicht betrachte ich das erste Mal seit langer Zeit mein Leben aus einer Metaebene heraus. Vielleicht, weil das ganze Drumherum so existenziell und angstmachend ist. Vielleicht, weil einem plötzlich klar wird, wie fragil dieses ganze Konstrukt Menschheit ist und wie unbedeutend oder sogar gefährlich vieles, was wir wichtig fanden. Vielleicht aber auch nur deshalb, weil ich das erste Mal, seit ich Mutter geworden bin, überhaupt mal Zeit zum Nachdenken habe.

Es hilft, dass wir beide Teilzeit arbeiten

Wenn man das ganze Drumherum weg lässt, hat die neue Gemeinsamkeit daheim ihre tollen und ihre weniger tollen Momente. Weniger toll ist, dass der Mann und ich natürlich auch irgendwie arbeiten sollen und dass das im Grunde nur geht, wenn sich der jeweils andere um die Kinder kümmert (wobei uns sehr hilft, dass wir ohnehin beide nur rund 70 Prozent in Teilzeit arbeiten). Und dass ich, während ich vormittags die Kinder davon abhalte, die Wohnung endgültig zu zerstören, darüber nachdenke, wie ich wohl nachmittags all das schaffen werde, was ich schaffen muss.

Diese vielen tollen Momente

Und natürlich kracht es jetzt öfter mal im Haus. Zwischen den Geschwistern. Zwischen den Kindern und mir. Und zwischen allen zusammen. Auch, weil man manche Dinge aneinander plötzlich noch klarer sieht. Und natürlich habe ich jetzt noch weniger Zeit für mich, denn abends muss ich das nacharbeiten, was ich tagsüber nicht geschafft habe, wie zum Beispiel diese Kolumne hier.

Aber daneben gibt es eben diese vielen tollen Momente. Wenn wir entdecken, wie viel Spaß dieses Spiel macht, das schon seit Jahren auf dem Wohnzimmerschrank verstaubt. Wenn der Sohn endlich die Bastelkiste für sich entdeckt und aus Papier und Styroporresten eine Kommisaruniform zusammenklebt. Wenn die kleine Schwester als Rockstar stundenlang vor dem Spiegel hüpft und singt. Wenn Mama zum ersten Mal seit 10 Jahren Joggen geht – und das Kind sie begleitet. Wenn Papa endlich seine platten Fahrradreifen aufgepumpt bekommt und wir eine Radtour machen. Und wenn die Geschwister – neben sehr vielen Streitereien – enger zusammenwachsen, sich plötzlich selbst genug sind.

Die Stunde der sonst abwesenden Väter

Wie uns geht es vielen Familien um uns herum, die wie wir das große Glück haben, beide im Homeoffice arbeiten zu können und sich (noch) keine finanziellen Sorgen machen zu müssen. Eine Bekannte erzählte mir, dass sie ihre Kinder nun noch mal ganz anders kennen lernt – im Guten wie im Schlechten. Eine andere, dass ihr Mann dank Kurzarbeit stundenlang mit den Kindern irre Konstruktionen durch die ganze Wohnung baut. Und eine ist froh, dass ihr Partner endlich ins jahrelang angeblich unmögliche Homeoffice darf und zumindest stundenweise die Kinder übernehmen kann.

Überhaupt schlägt ja gerade die Stunde der sonst oft abwesenden Väter. Plötzlich sieht man sie tagsüber ganz selbstverständlich beim Laufradfahren im Park und Fußballspielen in Hofeinfahrten. Ich hoffe sehr, dass sie sich einen Teil dieser Flexibilität in Nach-Coronazeiten hinüberretten. Es würde ihnen, ihren Frauen und Kinder gut tun.

Apropos: Was wird uns bleiben von dieser neuen Zeit? Keine Ahnung! Aber für mich zumindest die Erkenntnis, wie gut es tut, einfach zusammen zuhause zu sein. Ohne Termine und Verabredungen. Ohne gleich wieder irgendwohin aufzubrechen, wegzufahren, sich abzulenken. Ich werde deshalb nicht zu arbeiten aufhören. Ich werde mich deshalb nicht der Kindergartenfrei-Bewegung anschließen. Und ich werde auch nicht fordern, der Nachwuchs sollte in den ersten drei Jahren daheim bei Mutter oder Vater bleiben. Aber ich träume gerade ein bisschen von einer Welt, in der Mütter und Väter kleiner Kinder gleichberechtigt weniger arbeiten müssen, mehr Zeit für ihre Kinder und trotzdem genug Geld zum Leben haben. Und danach nicht auf dem beruflichen Abstellgleis sind. 

In der Praxis werde ich in Zukunft sicherlich mehr darüber nachdenken, welche Termine wichtig sind und welche nicht. Ob auch noch dieses Nachmittags-Hobby sein muss, jene Verabredung, dieser Wochenendausflug. Denn ich habe das Gefühl: Den meisten Stress machen wir uns irgendwie selbst. Das ist vielleicht nicht viel. Aber es ist ein Anfang. Vielleicht einer ganz neuen Familienzeit.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Lisa Welzhofer ist Autorin der Stuttgarter Nachrichten und Mutter zweier Kinder. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.