Seit 2005 sind Charles und Camilla verheiratet. Foto: mago//Doug Peters

Jahrzehntelang war Charles Kronprinz. Nun, im Alter von 73, hat der Tod seiner Mutter ihn über Nacht zum Monarchen des Vereinigten Königreichs und 14 weiterer Staaten rund um die Erde gemacht.

So viele Jahre lang war Charles einfach der Prinz von Wales, der ewige Thronfolger. An diesem Wochenende tritt der 73-Jährige in die erste Reihe. Mit unverhohlener Neugier und spürbarer Besorgnis verfolgen Britinnen und Briten, die die Queen verehrten, den Wechsel zu ihrem ältesten Sohn. So gewöhnt waren sie an „ihre“ Königin – wiewohl ihnen Charles natürlich ebenso vertraut ist. Nur eben nicht als King Charles III.

Und neben ihm Camilla (75), die als Königsgemahlin an seiner Seite in den Buckingham-Palast einziehen wird. Es ist noch gar nicht so lange her, da wäre das absolut undenkbar gewesen, hätte womöglich sogar Proteste hervorgerufen auf Londons Straßen, in denen die Begeisterung für Charles’ erste Ehefrau Diana so überwältigend war. Damals, in den 1990ern, als die Affäre des Prinzen von Wales mit seiner ebenfalls verheirateten ehemaligen Jugendliebe aufflog, als Telefonmitschnitte auftauchten, in denen der künftige König von England darüber nachdachte, wie es wäre, in der Hose seiner geliebten Camilla zu leben – als Tampon zum Beispiel.

1995 ließen sich Camilla und Andrew Parker Bowles scheiden, ein Jahr später folgten Charles und Diana. Viele Briten machten Camilla damals für das Scheitern der Ehe des Thronfolgers mit der beliebten Prinzessin verantwortlich. Nach deren Unfalltod am 31. August 1997 kam eine rasche Hochzeit des Paars deshalb nicht infrage. Dass Charles und Camilla (75) heute ein respektiertes Ehepaar und von der Öffentlichkeit geschätzte Mitglieder der königlichen Familie sind, dürfte eins der größten Wunder in der PR-Geschichte sein. Seit 17 Jahren sind sie nun verheiratet: skandalfrei und, nach allem, was man so hört, sehr glücklich.

In der Tat dürfte der Übergang bei den Windsors Veränderungen nicht nur in Ton und Stil bedeuten. Der frisch proklamierte König will ein wenig anders auftreten als seine Mutter. Nicht ganz so spröde, nicht ganz so sparsam mit Äußerungen und Emotionen. „Die Firma“, wie Vater Philip die königliche Familie gern nannte, soll rasch weiter verschlankt, letztlich auf einen kleinen Kern aktiver Royals reduziert werden. Schlösser und Paläste sollen für Durchschnittsbürger zugänglicher gemacht werden, nach und nach. Mehr Kontakt, mehr Kommunikation: Dagegen haben Royalisten nichts grundsätzlich einzuwenden – solange er die Grenzen, die ihm Verfassung und allgemeine Erwartungen setzen, nicht übertritt.

Dass Charles das tun könnte, fürchten manche seiner Landsleute. Er werde sich kaum damit zufrieden geben, „nur ein Grüßaugust, nur pure Repräsentationsfigur zu sein“, hat Charles’ amerikanische Biografin Catherine Mayer einmal geschrieben. Schon seit Langem plane er, die britische Monarchie „neu zu definieren“ und „potenziell ein neues Modell von Königtum“ einzuführen – eines, das ihn ein Wörtchen mitreden lässt.

In der Tat hat sich Charles als Kronprinz nie gescheut, über alles Mögliche zu urteilen, während seine Mutter stets um äußerste Diskretion bemüht war. Zu alternativen Heilmitteln wie zu Bildungsfragen, zu Bioanbau wie zu religiösen Auffassungen hat er immer ausgesprochen klare Meinungen gehabt und nie ein Geheimnis daraus gemacht. Moderne Bauwerke, die ihm nicht gefielen, hat er zum Entsetzen ihrer Architekten als „monströse Geschwüre“ bezeichnet. Und Leuten, die noch vor zehn Jahre Klimawandel bezweifelten, warf er vor, mit der Zukunft des Planeten „rücksichtslos Roulette zu spielen“.

Jüngst erst hat er „Verständnis“ gezeigt für „die Frustration“ von Anti-Klimawandel-Rebellen – und sich seitens der grünen Bewegung Anerkennung eingehandelt. Andere seiner Landsleute empören sich dagegen über seine „Einmischung“ in diese Dinge. Sie verspotten ihn, den Pflanzenflüsterer, der mit Bäumen redet. Oder lachen über seine neueste Empfehlung, Yoga zum Auskurieren von Covid zu nutzen. Ernstere Folgen hat gehabt, dass er einmal unvorsichtigerweise einer Holocaust-Überlebenden anvertraute, für ihn sei Wladimir Putin „gar nicht so viel anders als Hitler“. Darauf reagierte Putin frostig mit den Worten, solche Äußerungen erwarte man ja kaum „von Königen“. Im Londoner Foreign Office raufte man sich die Haare.

Jahrelang versuchte Charles, in ausführlichen Briefen diversen Ministern seine persönliche Meinung zu aktuellen Themen darzulegen. Jene Briefe, die als „Black-Spider-Memos“ bekannt wurden, sind bis heute legendär. Kritiker haben ihm dazu gratuliert, dass er nun als Staatsoberhaupt wöchentliche Audienzen mit der Regierungschefin haben wird, bei denen er versuchen könne, auf die große Politik direkt Einfluss zu nehmen.

„Eine stille Verfassungsrevolution“ sei unter Charles im Gange, warnte schon vor einiger Zeit Catherine Mayer angesichts der Sturm-und-Drang-Tendenzen des Thronfolgers. Einen „royalen Aktivisten“, einen blaublütigen Unruhestifter hätten die Briten in ihrer Mitte mit Charles. Der Labour-Abgeordnete Paul Flynn prophezeite, Charles werde als König ein „meddling monarch“ werden – ein Monarch, der sich permanent glaube einmischen zu müssen, und der letztlich noch „eine Verfassungskrise auslösen“ könne mit seiner Manie.

Selbstverständlich werde er sich als König in nichts einmischen, beteuerte Charles im Jahr 2018 in einem BBC-Interview anlässlich seines 70. Geburtstags: „So dumm bin ich ja nun wirklich nicht. Natürlich ist mir klar, dass ich als Souverän eine ganz andere Rolle spiele. Natürlich verstehe ich, dass alles dann ganz anders funktioniert.“

Solange Charles wisse, wann er den Mund zu halten habe, werde er ein sehr gutes Staatsoberhaupt abgeben, ist die Überzeugung der langjährigen früheren BBC-Hofberichterstatterin Jennie Bond: „Ich war schon immer der Ansicht, dass er ein guter König sein wird. Er ist ein nachdenklicher Mensch, der seine Verantwortung sehr ernst nimmt.“ Nun habe er die Chance, seine frühere Frau Diana Lügen zu strafen. Diana hatte ja nach der Trennung darauf bestanden, dass Charles „für den Topjob ungeeignet“ sei. Letztere Meinung teilen noch immer Charles’ unerbittlichste Kritiker, wie der Autor Tom Bower. Der kreidet Charles unter anderem „Abhängigkeit von einem luxuriösen Leben“, „finanzielles Missmanagement“ und „entsetzliche Beziehungen zum Rest der Familie“ an.

Viel Kritik, auch unter Monarchisten und in der konservativen Presse, hat sich Charles in jüngsten Jahren auch wegen zwielichtiger Verbindungen zu gekrönten Häuptern insbesondere am Golf und zu Milliardären in aller Welt zugezogen, die ihn von Jahr zu Jahr mit Riesensummen für seine diversen karitativen Initiativen oder auch zur Restaurierung seiner Schlösser versorgt haben.

Im Juni dieses Jahres gab es einen regelrechten Aufschrei, als bekannt wurde, dass Charles selbst Koffer voller 500-Euro-Noten von Scheich Hamad bin Jassim, einem ehemaligen Regierungschef Katars, in Empfang genommen hat. Von derlei Dingen wollen Royalisten lieber nichts mehr hören. Sie hoffen, dass sich Charles nun, als König Charles III., auf absolut nichts mehr einlässt, was ihn in ein schlechtes Licht rücken könnte. Dass er sich die richtigen Berater sucht, seiner Mutter nacheifert, die Windsors zusammenhält. Letztlich, meint Hugo Vickers, ein anderer prominenter Biograf des neuen Königs, könne sich Charles III. als „ganz unterhaltsamer“ Monarch erweisen. „Kultiviert“ sei er ja, und statt seinem Missionsdrang nachzugeben, könne er „große kulturelle Ereignisse“ veranstalten: „Das könnte ganz lustig sein.“ Vielleicht müsse man ja gar nicht alles so ernst sehen, hatte schon vor ein paar Jahren der Satiriker und Republikaner Will Self geschmunzelt. Da „Chucky“ nun mal beschlossen habe, neuer König zu werden, könne man sich „genauso gut zurücklehnen und die Kutschfahrt genießen“ mit ihm.