Der Oberbürgermeister von Stuttgart, Frank Nopper, besucht ausnahmsweise den Klimaausschuss. Kleine Überraschung: Zum Zieljahr 2035 zeigt er eine andere Haltung als die CDU-Fraktion.
Der Stuttgarter Oberbürgermeister ist ein Freund von Punkte-Plänen. Diesmal sind es sieben an der Zahl, mit denen er darlegt, dass die Stadt beim Klimaschutz „Siebenmeilenschritte“ geht, wie er es nennt. Dass Frank Nopper die Sitzung des Ausschusses für Klima und Umwelt besucht, ist ungewöhnlich.
Die Grünen hatten ihn gebeten, sein ihrer Auffassung nach widersprüchliches Auftreten im Rahmen des Stuttgarter Autogipfels im Januar zu erläutern. Nopper plädierte da für eine Abkehr vom Verbrenner-Aus sowie von den drohenden Strafzahlungen für Automobilhersteller, wenn die von ihnen verkauften Autos im Schnitt zu viel CO2 ausstoßen. Außerdem gingen insgesamt fünf Anträge ein zum Ziel der Stadt, bis 2035 die Klimaneutralität zu erreichen. Im Vordergrund die Frage: Wie?
Millionen für Stadtwerke, SSB und SWSG
Auf vier Seiten liegt vor Nopper zusammengefasst, was ihn als Chef dieser Stadt zuversichtlich stimmt. Und was er nicht ausführt, vertiefen andere: der zuständige Bürgermeister Peter Pätzold, der Stadtwerke-Chef Peter Drausnigg und der Klimareferatsleiter Martin Körner. Es geht um Millioneninvestitionen für Stadtwerke, SSB und SWSG, es geht um die Wärmeplanung, den Klimamobilitätsplan und die Ladesäulen für E-Fahrzeuge. Folien und Zahlen, wie sie in diesem Klimaausschuss an der Tagesordnung sind. Der Neuigkeitswert: mager. Zumal niemand sagen kann, wo Stuttgart im Frühling 2025 genau steht.
Die einen wollen daher den Blick nach vorne richten, sich weniger mit Statistiken der Vergangenheit beschäftigen und stattdessen prüfen, ob die Weichen für die Zielerreichung richtig gestellt sind. „Wir brauchen einen Klimasachverständigenrat wie das Land, wir brauchen Prognosen und keine Rückschau“, sagt zum Beispiel Hannes Rockenbauch (SÖS). „Es ist wirklich noch ein Kraftakt“, sagt Björn Peterhoff (Grüne).
Andere verstehen die Aufregung nicht. „Wir sind doch im Plan“, sagt Friedrich Haag (FDP). Der Bürgermeister Pätzold rät, „die Dinge nicht kleinzureden“. Und auch der OB sagt: „Wir haben die CO2-Emissionsziele voll erreicht.“ Für das Jahr 2023 stimmt das laut städtischem Energie- und Klimaschutzbericht. Minus 54 Prozent gegenüber den Emissionen von 1990. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass wichtige Kennzahlen nahelegen, dass die Delle kommen wird.
So werden in Stuttgart – wie in ganz Deutschland – beispielsweise weit weniger Wärmepumpen installiert als fürs Klimaziel notwendig. 2024 waren es 305, anvisiert waren rund 3500. Und auch bei den Wärmenetzen ist noch vieles im Ungefähren. Zwar steht inzwischen fest, in welchen Gebieten sich Hausbesitzer selbst um eine Heizung kümmern müssen. Für Bereiche, in denen Wärmenetze vorgesehen sind, besteht allerdings derzeit noch keinerlei Verbindlichkeit.
Bei der E-Mobilität waren die Berater von McKinsey, die den Klimafahrplan zusammen mit der Stadt erstellt haben, davon ausgegangen, dass bereits nächstes Jahr 100 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch fahren. Zahlen für Stuttgart führt das Kraftfahrt-Bundesamt nicht, aber für Baden-Württemberg: 16 Prozent der 2024 neu zugelassenen Autos hatten reinen E-Antrieb.
Stillgelegtes Gasnetz bis 2035?
Wie realistisch also ist 2035? „Stillgelegtes Gasnetz, kein Verbrenner mehr und der Strom komplett öko – wenn das hier drin noch einer glaubt, sollte er sich einen Nachrücker suchen“, sagt Alexander Kotz (CDU). Die Welt sei eine andere als an seinem Geburtstag im Juli 2022. Damals hatte er zusammen mit einer breiten Mehrheit das Klimaziel 2035 unterschrieben. „Ist unsere Stadtgesellschaft immer noch in der Lage?“ Eine Ersatzjahreszahl wisse er nicht.
Die weiß dafür die AfD. Doch ihr Antrag, das Ziel auf 2040 zu verschieben und damit dem Zeitplan des Landes anzugleichen, wird abgelehnt. Mehrheitlich, denn die vier CDU-Stadträte enthalten sich – unter dem Geraune der ökosozialen Fraktionen.
„Wir sollten am Klimaschutzziel 2035 festhalten“, sagt derweil Nopper. Doch das gelinge nur „sozial- und wirtschaftsverträglich“. In der Region Stuttgart hingen rund 220 000 Arbeitsplätze direkt von der Automobilwirtschaft ab. „Dass es ihr gut geht“, daran müssten alle ein Interesse haben. „Wer sich ökonomisch abschafft, erreicht seine ökologischen Ziele nicht.“ An seinem Auftritt beim Stuttgarter Autogipfel kann er daher nichts Widersprüchliches finden.
Einerseits Nullemission bis in zehn Jahren, andererseits die Abkehr vom Verbrenner-Aus und den Strafzahlungen – für den ökosozialen Teil der Stuttgarter Stadträte geht das nicht zusammen. Noppers Forderungen seien „ein Signal des Rückschritts“, sagt Peterhoff. Er selbst komme aus der Automobilindustrie, daher wisse er: Sie habe „schon früh viel verschlafen“. Lucia Schanbacher (SPD) warnt vor „Märchen von der Rolle rückwärts“. Das gefährde Arbeitsplätze. Noppers Job sei es nun, möglichst viel Geld aus dem neuen Sondervermögen des Bundes nach Stuttgart zu holen.