Mit Kompensationszahlungen werden oft Bäume gepflanzt; auf das Klima wirkt sich das nur aus, wenn sie lange genug stehen bleiben. Foto: imago//W. Pattyn

Sprit, Flughäfen, Schokolade: Alles kann klimaneutral werden – durch Kompensation. Dabei wird gerne getrickst, Verbraucherschützer reden dann von Täuschung und Greenwashing. Aber das Ganze hat auch seine guten Seiten.

Heute kann man mit allem Möglichen etwas Gutes fürs Klima tun. Zum Beispiel Sprit von Shell – für 1,1 Cent extra kann man ihn klimaneutral machen. Der Hamburger Flughafen gibt sich diesen Stempel, Aldi Süd auch. Weihnachtsgeschenke, Milch, Schokolade, all das gibt es auch in klimaneutral. Erreicht werden soll das auch über Kompensationen. Aber funktioniert das überhaupt – etwas Geld zahlen, irgendwo ein Bäumchen pflanzen, und schon ist man klimaneutral?

Viele reden Greenwashing – aber die Wahrheit ist komplizierter

Es gibt viele Berichte, die darauf hindeuten, dass das katastrophal schiefgeht. Zwei Journalistinnen der „Zeit“ haben es geschafft, einen Blumenladen durch Kompensationen klimaneutral zu machen, ohne dass ein Anbieter draufgekommen wäre, dass es den Laden gar nicht gibt. Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat herausgefunden, dass Wasser in Plastikflaschen als klimaneutral gekennzeichnet wurde, ohne dass die Emissionen bekannt gewesen wären. Und derzeit findet eine Fußball-WM statt, die sich als klimaneutral ausgibt, obwohl relativ klar ist, dass die Veranstaltung dem Klima keinen Gefallen tut.

Solche Beispiele gibt es viele. Um als klimaneutral zu gelten, greifen Unternehmen oft auf die Kompensation zurück. Verbraucherschützer und Kritiker sprechen in dem Zusammenhang gerne von Greenwashing. Aber die Wahrheit ist etwas komplizierter.

Hier die Emissionen, dort das Einsparprogramm

Kompensation hat nicht nur schlechte Seiten. In der Theorie funktioniert das so: Man berechnet als Unternehmen oder Privatperson seinen CO2-Ausstoß und gleicht diesen aus mit einer Zahlung an einen Kompensationsanbieter – Atmosfair, Klimakollekte und Co. Diese Anbieter kaufen wiederum Zertifikate, mit denen Klimaschutzprojekte finanziert werden. Klimaschutzprojekte, das bedeutet meist CO2-einsparende Kochöfen, Solaranlagen oder Aufforstungsprogramme irgendwo weit weg, meist in Entwicklungsländern. Emissionen, die man selbst getätigt hat, sollen so anderswo eingespart werden.

„Ich sehe Kompensation positiv, unter der Voraussetzung, dass die Qualitätskriterien erfüllt werden“, sagt Andreas Ziegler, der an der Uni Kassel empirisch zu umweltökonomischen Fragen forscht. Ein Qualitätskriterium ist die Langfristigkeit – es muss etwa sichergestellt werden, dass gepflanzte Bäume lange genug stehen bleiben, ehe sie nach mehreren Jahrzehnten ihre volle Klimawirkung entfalten. Stiftung Warentest hat etwa für die Anbieter Atmosfair (Note „sehr gut“), Klima-Kollekte (Note 1,7) und Primaklima (Note 2,5) herausgefunden, dass das weitgehend funktioniert. Kompensation ist also nicht sinnlos. Wenn sie konsequent angewendet wird. Da haben manche Unternehmen offenbar ein Problem.

Unternehmen gleichen oft nur einen Teil ihres Ausstoßes aus

Ein beliebter Trick ist etwa, nur einen Teil der Emissionen zu kompensieren. So kompensiert etwa Granini laut Foodwatch die Emissionen an seinen Standorten, aber nicht für den Anbau der Mangos und Orangen. Einen „CO2-neutral“-Schriftzug gibt es trotzdem. Ein anderes Beispiel ist der Hamburger Flughafen, der seit diesem Jahr als erster deutscher Verkehrsflughafen als klimaneutral gilt. Das bezieht sich nur auf den Betrieb des Flughafens, nicht auf die Flüge. Aus diesen Gründen fordern etwa Foodwatch und die Verbraucherzentrale, dass verboten wird, mit dem Begriff klimaneutral zu werben. „Die Unternehmen müssen kein einziges Gramm CO2 einsparen, um sich klimaneutral nennen zu dürfen“, sagte etwa Manuel Wiemann von Foodwatch.

Die Kritik bezieht sich darauf, dass der Weg zur CO2-Neutralität diesem Weg folgen sollte: Erst Emissionen vermeiden. Dann verringern, was sich nicht vermeiden lässt. Was dann noch übrig bleibt: kompensieren. Aber ist es wirklich so, dass Unternehmen einfach nur ihre Emissionen kompensieren, aber kein Interesse an einer CO2-Vermeidung haben? Das hat Andreas Ziegler erforscht. Er sagt: Personen und Unternehmen, die kompensierten, seien meist jene, die auch sonst eher Wert auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit legten.

„Der Claim klimaneutral ist verbrannt“

Für Philipp Schär von der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Unternehmensberatung Fors liegt das Problem woanders. „Ich glaube, der Claim klimaneutral ist mittlerweile verbrannt“, sagt er. „Es wird fast wie ein Siegel für Greenwashing gesehen.“ Wenn ein Unternehmen etwas produziere, sei das eben immer mit einem gewissen CO2-Fußabdruck verbunden. Wer dann kompensiere und auf klimaneutral mache, mache sich angreifbar. Schär hält Kompensationen nicht grundsätzlich für falsch. Aber er rät Unternehmen, nicht auf erkaufte Klimaneutralität abzuzielen, sondern auf ernsthafte und nachvollziehbare Reduktionsmaßnahmen.

Aber wie erkennt man nun als Verbraucher, welcher Safthersteller, welche Molkerei und vielleicht auch welcher Ölkonzern es ernst meint mit dem Klimaschutz? Ein Problem sei, dass Begriffe wie nachhaltig, grün oder klimaneutral nicht geschützt seien, sagt Schär. „Der Siegel-Dschungel ist für Normalverbraucher kaum durchschaubar“, sagt Schär. „Oft wird nicht unterschieden, ob bei der Bezeichnung klimaneutral ein Produkt oder das ganze Unternehmen gemeint ist“, ergänzt Ziegler. Ein staatliches Siegel könne helfen, sagen sowohl Schär als auch Ziegler. Ein solches sei nicht geplant, sagt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums gegenüber unserer Zeitung. Begründung: Zwei Initiativen der EU-Kommission behandelten derzeit das Thema. Ergebnisse soll es demnach im ersten Quartal 2023 geben. Dann könnte ein EU-Siegel für den ökologischen Fußabdruck angestoßen werden.

Qualitätskriterien für die Kompensation

Regeln
Damit Kompensationen anerkannt werden, müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen. Im Wesentlichen heißt das: CO2-Kompensationen dürfen nicht doppelt verrechnet werden. Wird mit meiner Kompensation etwa ein Wald in Südafrika gepflanzt, darf sich das Land diesen Wald also nicht mehr für die eigenen CO2-Einsparziele anrechnen. Dazu muss realistisch eingeschätzt werden, wie viele Emissionen eingespart werden, und die Projekte müssen langfristig sichergestellt werden – Wälder können schließlich abbrennen, noch bevor sie nach einigen Jahrzehnten ihre volle Klimawirkung entfalten.

Kosten
Für private Kundinnen und Kunden kostet es etwa 25 Euro, um eine Tonne CO2 bei den gängigen Anbietern zu kompensieren. Unternehmen zahlen mitunter weniger. Das wiederum beeinflusst, wie viel Geld in Klimaprojekte weitergegeben werden kann. Rechenbeispiel: Ein Liter Benzin verursacht 2,37 Kilo CO2. Würde man das zu dem genannten Preis kompensieren, käme man etwa auf 5,5 Cent pro Liter. Shell stellt 1,1 Cent für sogenannten klimaneutralen Sprit in Rechnung.

Unterscheidung
CO2-Preis, Emissionshandel, Kompensation – es gibt verschiedene Instrumente, die Emissionen mit einem Preis versehen. Der CO2-Preis ist ein deutsches Instrument für die Bereiche Verkehr und Wärme. Das heißt: Unternehmen, die in Deutschland mit Heizöl, Erdgas, Benzin oder Diesel handeln, müssen für die Emissionen, die ihre Produkte verursachen, Zertifikate kaufen. Das kostet derzeit 30 Euro pro Tonne. Dazu gibt es ein ähnliches Instrument auf europäischer Ebene: den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS). Der bezieht sich auf die Industrie, Energiewirtschaft und den innereuropäischen Flugverkehr – diese Bereiche müssen Emissionszertifikate erwerben. Der Preis pro Tonne CO2 liegt bei etwa 80 Euro.