Die Missbrauchs-Debatte belaste alles, was an Gutem in den Kirchengemeinden geschehe, beklagen die Briefschreiber. Foto: imago/Christian Ohde/Christian Ohde

Kirchen im Landkreis Ludwigsburg prangern in einem offenen Brief den Umgang mit der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an. Er werfe Schatten auf all das Gute, das in vielen Kirchengemeinden geschehe.

Kreis Ludwigsburg - Just an dem Tag, an dem das Landgericht Köln einen katholischen Priester zu zwölf Jahren Haft wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder verurteilt hat, haben evangelische, katholische, freikirchliche und neuapostolische Kirchengemeinden aus dem Landkreis in einem offenen Brief Position bezogen – und bitten Mitglieder, Austritte zu überdenken.

„Wieder einmal ist ein Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche Gesprächsthema und Aufreger in allen Medien. Auch in unseren Gemeinden treten Menschen enttäuscht oder wütend aus der Kirche aus“, heißt es in dem Brief. „Die“ Kirche stehe auf der Anklagebank. Auch Austritte aus der evangelischen Kirche würden immer wieder mit den Missbrauchsskandalen begründet. „Darüber müssen wir reden“, fordern die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner Irmtraut Aebert, Isabella Bigl, Achim Dürr, Eva Engelking, Elke Goldmann, Dieter Jäger, Barbara Koch, Nathanael Maier und Irmgard Schmitt. Kirche müsse ein geschützter Ort sein, „darum muss Missbrauch bei der katholischen und evangelischen Kirche umso entschiedener aufgeklärt werden; auch wenn evangelische Kirche und protestantische Freikirchen eine andere Sexualmoral, kein Zölibat und andere hierarchische Strukturen haben, müssen wir ebenfalls hoch sensibel damit umgehen und alles daran setzen, dass Missbrauch bei uns keine Chance hat“.

„Lähmend und zersetzend“

„Absolutes Unverständnis“ habe man „für die Täter und die Vertuscher, die nicht mit einem Ego te absolvo (Ich spreche dich frei) davonkommen dürfen. Diese Täter seien nicht „die Kirche“, dennoch würfen ihre Taten Schatten auf die gesamte kirchliche Welt. In Kirchengemeinden geschehe aber auch viel Gutes: Diakonie, Jugendarbeit, Seelsorge und Lebensbegleitung, ermutigende Gottesdienste, Engagement für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung und vieles mehr. „Wir verurteilen deshalb den Missbrauch, der unter dem Deckmantel der Kirche begangen wurde.“

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Er lege sich „lähmend und zersetzend“ über die gute Arbeit unzähliger Ehren- und Hauptamtlicher, heißt es in dem Brief. Man verstehe und teile die Wut derer, die sich über diese Skandale, die unzureichende Aufklärung und Vertuschung ärgerten. „Wir bitten Sie aber: Bevor Sie aus der Kirche austreten, reden Sie mit uns.“ Mit jedem Austritt treffe man auch die, die sich „mit großem Engagement und tiefem Glauben für die Kirche, die gute Nachricht und die Nächstenliebe einsetzen“. Bis auf wenige Ausnahmen unterstützen alle evangelische Gemeinden, der Vorstand der AG christlicher Kirchen in Ludwigsburg, die neuapostolische Kirche, die evangelisch-methodistische Kirche in Ludwigsburg und im Bezirk Remseck und Waiblingen-Hegnach, Diözesanrätin Gabriele Pennekamp – die Vorsitzende der Katholischen Erwachsenenbildung – , Schuldekan Andreas Löw, die Vorsitzende der Bezirkssynode Julia Görner, die Vorsitzende der Gesamtkirchengemeinde Ludwigsburg Margret Rössle und Dekan Michael Werner den offenen Brief.

Klare Schritte der Aufklärung auf allen Ebenen gefordert

Das katholische Dekanat Ludwigsburg schließt sich mit einem zusätzlichen Statement an. „In ökumenischer Verbundenheit gestalten wir im Kreis Ludwigsburg vielfältige Angebote und lebendiges kirchliches Leben. Wir stehen dafür, dass Menschen in einem geschützten Raum Seelsorge und Lebensbegleitung finden und sich in unterschiedlichen Feldern gemeinsam mit anderen engagieren können“, erklärt Dekan Alexander König.

„Die katholische Kirche im Kreis Ludwigsburg fordert klare Schritte der Aufklärung und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch auf allen Ebenen. Dazu gehören auch strukturelle Veränderungen in der katholischen Kirche, die Missbrauch und dessen Vertuschung in der Vergangenheit begünstigt haben. Wir können verstehen, wenn sich in der aktuellen Situation Menschen für einen Austritt aus der katholischen Kirche entscheiden. Auch wir laden alle, die sich damit beschäftigen, zum Gespräch ein.“