Faszinierend ist das farbenfrohe Lichtband, das den Anschein einer schwebenden Decke erweckt. Foto:  

Vor 90 Jahren wurde die Hedelfinger Kreuzkirche feierlich eingeweiht. Sie steht unter Denkmalschutz und gehört zu den kulturgeschichtlich bedeutenden Kirchengebäuden der Landes.

Hedelfingen - In der Nacht von 25. auf den 26. Oktober v or 90 Jahren wurden die Hedelfinger um Mitternacht aus ihren Betten gerissen. Zuerst gab die Glocke der Alten Kirche zwölf Töne von sich, die Erwiderung folgte Sekunden später. Erstmals erklangen die Glocken der Neuen Kirche. Das ungewohnte Nachtkonzert war der Auftakt zu einem Festakt. Heute vor 90 Jahren wurde die neu erbaute Kirche in der heutigen Amstetter Straße eingeweiht. Mit ihrem mächtigen Turm mit dem Metallkreuz an der Spitze bildet sie den weithin sichtbaren Ortsmittelpunkt und ist gleichzeitig ein von Architektur- und Kunstliebhabern gern besuchter Vertreter des Neuen Bauens. Seit Juli 1980 steht die Kreuzkirche, wie sie ebenfalls 1980 auf Wunsch der Gemeindemitglieder getauft wurde, unter Denkmalschutz und gehört zu den kulturgeschichtlich bedeutenden Kirchengebäuden der Landes.

An Kulturgeschichte dachten die Hedelfinger beim Wunsch nach einer neuen Kirche nicht. Der Grund war einfacher: Die Alte Kirche platzte aus allen Nähten. Die Einwohnerzahl der selbstständigen Kommune stieg Ende des 19. Jahrhunderts kontinuierlich, das Dorfkirchlein wurde zu klein. Der Kirchengemeinderat entschloss sich, die Alte Kirche zu erweitern. Doch sämtliche Pläne ließen sich nicht realisieren. Dauernde Diskussionen und Geldmangel verhinderten den Baustart. 1928 tat sich dann eine einmalige Chance auf. Die Gemeinde konnte das in der Ortsmitte liegende Grundstück samt „Schlössle“ von Privatier Bopp erwerben. Architekt Paul Trüdinger und Hans Volkart bekamen den Auftrag, Vorschläge auszuarbeiten.

Auf dem Killesberg entstand zur gleichen Zeit die durch prominente Vertreter des Neuen Bauens konzipierte Weißenhofsiedlung. Inspiriert von dem durch Schlichtheit und Sachlichkeit geprägten Baustil nutzte Trüdinger viele Elemente dieser Bauform. Dank der für einen Kirchenbau fast revolutionären Stahlskelettbaukonstruktion mit Bimssteinausriegelung konnte er den Kostenrahmen einhalten. Die Hedelfinger konnten den raschen Aufbau ihres Gotteshauses miterleben. Der Grundstein wurde am 29. September 1929 gelegt. Im Oktober 1929 stand bereits das Grundgerüst und nach 14 Monaten konnte die Kirche feierlich eingeweiht werden.

Sicherlich schaute der ein oder andere Hedelfinger den Rohbau der Neuen Kirche, wie sie damals noch hieß, von außen zunächst argwöhnisch an. Die Stahlskelettkonstruktion ähnelte einem Industrie-Hallenbau. Doch dank dieser modernen Skelett-Konstruktion kann die ganze Breite des großen Kirchenraums, der 700 Sitzplätze bietet, stützenlos überbrückt werden. Er hat als Predigtkirche die Form einer Basilika. Die leicht erhöhte halbrunde Apsis und die scheinbar schwebende Decke des Mittelschiffes mit dem farbigen Lichtband schaffen ein einmaliges Raumgefüge. Tausende Gottesdienst- und Kirchenbesucher saßen oder standen bereits im Innern und ließen sich – vor allem bei Sonnenschein – vom farbenfrohen Lichtband beeindrucken. Mit dem kubischen Glockenturm hat Trüdinger ein Ortsbild prägendes Bauwerk und ein weithin sichtbares Zeugnis für die Architektur der neuen Sachlichkeit geschaffen. Sowohl im Außenbau als auch im Innenraum fanden die von der ortsansässigen Ziegelei hergestellten Klinker Verwendung. Nachdem die Kirche nach Ende des Zweiten Weltkriegs weiß gestrichen wurde, bekam sie 2003 ihre ursprüngliche, an die Sandsteinart erinnernde Farbe wieder – wurde ein rotes Schmuckstück, nicht nur für Experten.

Die Kreuzkirche ist ein architektonisches Gesamtkunstwerk im Stil der neuen Sachlichkeit und ein bundesweit beachtetes Baudenkmal, das vor 90 Jahren aus einem Sparzwang und der Philosophie heraus entstand, dass der Glaube im Vordergrund stehen und das Gotteshaus deswegen schlicht und pur sein sollte.