Mitglieder der feministischen Gruppe protestieren mit Buggys und Kinderwagen gegen schlechte Bezahlung. Foto: Lg/Kovalenko

Nach Verdi-Kundgebung und Warnstreik hat das feministische „Aktionsbündnis 8. März“ vor einem Modegeschäft in Stuttgart mit Kinderwagenflashmob gegen mütterfeindliche Arbeitsbedingungen protestiert.

Stuttgart - Schwarz auf Pink prangt er unter „Wanted“-Lettern zwischen Frauen-Power-Fäusten an der Filiale eines Modeunternehmens an der Königstraße: dessen Besitzer, einer der reichsten Männer der Welt. Daneben lächeln eine Personalchefin einer weiteren Modekette und der Deutschland-Chef des Unternehmens. Die Poster haben die Frauen des Aktionsbündnisses 8. März auf das Schaufenster geklebt. Mitglieder der feministischen Gruppe reihen sich davor mit Buggys und Kinderwagen auf, diese mit einem Seil verbindend und Schilder bestückend. „We Strike Back“ ist da in leuchtendem Lila zu lesen, Solidarität mit den Beschäftigten im Einzelhandel wird bekundet.

Mütter brauchen Planbarkeit

Unter dem Vorwand von Gewinneinbußen in der Coronapandemie würden die beiden Modeunternehmen die sowieso schon kargen Löhne weiter drücken, erklärt eine Frau vom Aktionsbündnis. Dabei habe die Unternehmensgruppe Inditex, zu der eines der beiden Unternehmen gehört, trotz des Lockdowns einen satten Gewinn von 1,1 Milliarden Euro eingefahren, auch weil der Online-Versand um 77 Prozent stieg. Dennoch entließen die Modefirmen Beschäftigte und trieben Arbeitszeitflexibilisierung voran, erwarteten von Angestellten nach Bedarf zur Verfügung zu stehen. „Wer auf feste Schichtpläne und planbare Arbeitszeiten angewiesen ist, soll mit Aufhebungsverträgen gezwungen werden zu kündigen. Direkt davon betroffen sind vor allem junge Mütter, denn Kitas haben keine flexiblen Öffnungszeiten. Mütter brauchen Planbarkeit.“

Handel, Haus und Homeschooling

Frauen in der Branche litten besonders: 75 Prozent der Beschäftigen im Einzelhandel sind weiblich, in den angeprangerten Modeketten 80 Prozent. „Frauen werden ausgebeutet auf der Basis von Niedriglohn, um Profite zu steigern“, so Samira vom Aktionsbündnis. Das führe in Altersarmut, 88 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel hatten davor Angst. 20 Prozent kämen schon jetzt nicht über die Runden mit ihrem Gehalt. „Viele Frauen sind abhängig von ihrem Partner oder vom Staat, müssen trotz Arbeit aufstocken, sind auf Wohngeld angewiesen.“ Dabei hielten Frauen den Laden am Laufen, in Handel, Haus und Homeschooling. „Frauen die kämpfen, sind Frauen die leben, lasst uns das System aus den Angeln heben“, skandieren sie – unter Zustimmung mancher samstäglicher Flaneure. So erhielt der Kinderwagenflashmob, als er sich zunächst durch die Königstraße schob, einige hocherhobene Daumen – auch von zwei Sopranistinnen, die vor dem Mittnachtbau sangen nebst Schild „Ohne Kunst wird’s still.“ Die Themen waren davor auf dem Kleinen Schlossplatz angesprochen worden – von Bündnismitglied Katharina, Sidar Carman, Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Handel, sowie Bernhard Franke, der für Ver.di die Tarifverhandlungen führt. Die Gewerkschaft hatte in Stuttgart und Umgebung zu Warnstreiks aufgerufen und zur Kundgebung in Stuttgarts Innenstadt plus Protestzug durch die Bolzstraße zum Schlossplatz geladen. Rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Lebensmittel- und anderen Branchen des Handels folgten.

Ver.di fordert 4,5 Prozent plus 45 Euro mehr Lohn

„Auch anderswo wird heute gestreikt, etwa in Nordrhein-Westfalen“, so Franke. Denn aktuell bewege sich nichts, obwohl im elften Jahr in Folge der Umsatz im Einzelhandel gestiegen sei – in der Pandemie durch Online-Handel. Ver.di fordert 4,5 Prozent plus 45 Euro mehr Lohn. Am 21. Juni gehen die Verhandlungen in die dritte Runde. Die Arbeitgeber hätten noch kein Angebot vorgelegt, betonte Franke. Es könne nicht sein, dass die Corona-Heldinnen und –Helden im dritten Monat auf die dringend nötigen Tariferhöhungen warteten. „Ihr habt die Gesellschaft am Laufen gehalten, auch unter Gefahr von Ansteckung dafür gesorgt, dass die Menschen nicht nur mit Klopapier, sondern mit allem, was sie zum Leben brauchen, versorgt waren.“